Friedrich Würthle: Ergänzungsband 9. Dokumente zum Sarajevoprozeß. Ein Quellenbericht (1978)

Die Attentäter der „Mlada Bosna”

15 kam man den armen Jungemigranten aus dem .Lande der Knechtschaft“ ent­gegen. Der letzte Emigrantenschub erfolgte wenige Monate vor dem Attentat, und zwar aus der Lehrerbildungsanstalt Pakrac (Slawonien). Dort wurden 18 serbische Zöglinge relegiert, darunter mehrere Bosnier. Gegen einen von ih­nen lief eine Anzeige, weil er gedroht hatte, dem Thronfolger Franz Ferdi­nand zu beweisen, daß Bosnien ein serbisches Land sei* 19). Angeblich wurde schon 1904 am Mostarer Gymnasium eine geheime Schü­lerverbindung von einem gewissen Dimitrijo Mitrinovic gegründet. Sie hatte in erster Linie literarischen Charakter, die 1906 gegründete Vereinigung .Sloboda“ (Freiheit) war politisch. Über Mitrinovic schwärmte ein begeister­ter Chronist der ,Mlada Bosna“: ,Er war ein großes Naturtalent, von einer Gelehrsamkeit, wie man sie kaum unter Tau­senden findet, voller Intellekt, Dynamik und geistiger Nervosität, er war das Haupt und der Anführer dieser ganzen Generation . . . Später, in reiferen Jahren, verbreitete sich sein Einfluß bedeutend, und von der Annexionskrise bis zum Jahre 1914 finden wir seine Persönlichkeit und seinen Namen in allen Jugendbewegungen und Zentren, in allen Zeitschriften, in der ganzen Weite Jugoslawiens . . . Sein Einfluß auf die na­tionalrevolutionäre Jugend war groß, nicht nur in Bosnien und der Herzegowina, son­dern auch in Kroatien, in Dalmatien und anderen Gebieten. Er war einer der aktivsten und tüchtigsten Dialektiker der nationalen Einheit der Serben und Kroaten . . .“. Ein anderer Literat der ,Mlada Bosna* schrieb über Mitrinovic: ,Er lehrte uns die Verträglichkeit untereinander, die Brüderlichkeit und Einheit der jugoslawischen Völker . . .‘20). Von den geistigen Einflüssen, die auf die heranwachsende Schülergeneration einwirkten, sind besonders hervorzuheben: die Heldengesänge des Njegos und Schillers Dramen. Die Werke beider Dichter wurden den Schülern in den geschmähten „kalten österreichischen Schulen21) vermittelt. Schillers romantische Vorstellungen über den Tyrannenmord, wie sie im Wilhelm Teil zum Ausdruck kommen, berauschten junge Bosnier. In den Taschen des At­tentäters Zerajic fand die Polizei Verse des deutschen Klassikers22). Belgrad leichter seien, habe er geglaubt, dort den Abschluß schaffen zu können. In Belgrad bestand er dann die Prüfungen mit sehr gutem Erfolg: Klage des Kroaten Dr. Mandic über die „Minderwertigkeit des hierländischen Schülermaterials“, ge­druckt in Glasnik arhiva i drustva arhivskih radnika Bosne i Hercegovim 4—5 (1964-1965) 455f. 19) ÖUA n. 10144. 20) Vladimir Gacinovic Ogledi i pisma (Sarajevo 1956) 81. 21) Der Ausdruck stammt von Ivo Andric. 22) Über den „tyrannischen Geist“, der an österreichischen Schulen in Bosnien und Herzegowina herrschte, geben deutsche Aufsatzthemen Aufschluß, z. B. am Gymna­sium in Sarajevo, Jahrgang 1904/05: Welche Eigenschaften sprechen uns an Wilhelm Teil am meisten an? Im gleichen Jahr werden in der Schülerbücherei Die Weber von Gerhard Hauptmann eingestellt. Jahrgang 1908/09: Einige Charakterzüge Rudolf von Habsburgs und Worin liegt die Bedeutung des Gesprächs zwischen Egmont und Orani- en?, Die Ursache der italienischen Niederlage in der Seeschlacht von Lissa, Mit wel­chem Recht darf Egmont als Märtyrer der niederländischen Freiheit angesehen wer-

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