Friedrich Würthle: Ergänzungsband 9. Dokumente zum Sarajevoprozeß. Ein Quellenbericht (1978)

Die Attentäter der „Mlada Bosna”

12 Vladimir Dedijer3), Titobiograph und Sarajevoforscher, erklärte, bereits früh, schon 1899, seien in der Herzegowina die ersten Schülergeheimbünde ent­standen. Im nämlichen Jahr erschien in Paris eine von der Faculté de droit preisgekrönte Schrift4), in der allen Ernstes behauptet wurde, die beiden Länder seien serbische Länder, die Bewohner seien Serben, und zwar alle, auch die Katholiken und die Bekenner Mohammeds. Andererseits gab es kroatische Nationalisten, die Katholiken, Orthodoxe und Muslim als Kroaten ansahen. Nach der Meinung des Verfassers dieser Schrift, Dr. Miroslav Spa- lajkovic5), befände sich in Bosnien und der Herzegowina Serbiens edelster Teil — ,,la plus belle partié de la race serbe“ —, und der Existenzgrund der beiden Staaten Serbien und Montenegro sei einzig und allein die .Zurücker­oberung* der beiden Länder. Anfang unseres Jahrhunderts entwickelte sich in den südslawischen Ländern der Monarchie eine spezifische Art der Abwanderung, die sogenannte Schü­leremigration. Relegierte Mittelschüler6), Präparandisten7) und Hochschüler aus Bosnien, der Herzegowina, aus Kroatien und Slawonien emigrierten nach Belgrad, wo man sie willkommen hieß und ihnen Gelegenheit bot, weiter zu studieren. Die Schüleremigration begann mit der Ausschließung serbischer Hochschüler aus dem bosnisch-herzegowinischen Schülerkonvikt in Wien wegen politischer Demonstrationen8). Eine weitere Folge war die Gründung des serbischen Kulturvereines ,Prosvjeta*. In einer Jubiläumsschrift des Ver­eines wird ausdrücklich darauf hingewiesen: ,Die Affaire mit dem Hochschülerkonvikt der bosnischen Regierung in Wien, bei wel­chem Anlaß alle serbischen Hochschüler aus dem Konvikt hinausgejagt wurden und sich auf einmal auf der Straße befanden, ist gut bekannt. Das waren lauter arme Stu­denten. Dieser Vorfall bedrohte die Existenz aller Studenten, erbitterte ihre älteren Kollegen und spornte sie zur Tätigkeit an, revolutionierte die Geister und eiferte das serbische Volk Bosniens und der Herzegowina zur Aufopferung für die Jugend an. Es war notwendig, die Prosvjeta so rasch als möglich zu gründen. Sie wurde daher zuerst hauptsächlich als ein Verein zur Unterstützung von Studenten gegründet und besei­tigte die schädlichen Folgen der behördlichen Kulturpolitik in dieser Richtung, welche für manchen armen serbischen Studenten verhängnisvoll sein konnten. . . Die Präpo­3) Dedijer war Offizier in der jugoslawischen Partisanenarmee. Seine Titobiogra- phie wurde in 38 Sprachen übersetzt. Weitere Werke: Notizen aus Amerika, Die Pari­ser Konferenz, Das jugoslawisch-albanische Verhältnis. 4) Miroslav Spalajkovic La Bosnie et l’Herzegovine (Paris 1899). 5) Generalsekretär im serbischen Außenministerium 1907-1911, Gesandter in Sofia 1911-1913, Gesandter in St. Petersburg 1913-1914. 6) Gymnasiasten, Realgymnasiasten, Realschüler. 7) Schüler der Lehrerbildungsanstalten. 8) 1914 wollte man den Fehler aus dem Jahr 1903 korrigieren. In einem Bericht vom 16. Juli (ZI. 6217 Präs.) machte die Landesregierung in Sarajevo dem zuständigen Ministerium in Wien zahlreiche Vorschläge, darunter den der „Wiedererrichtung eines Hochschulkonviktes in Wien, Budapest oder Agram für alle Landes- und Gemeindesti- pendiaten oder mit Stipendien der aus Landesmitteln unterstützter Vereine beteilten Hochschüler“ (Glasnik arhiva i drustva arhivskih radnika Bosne i Hercegovine 4—5, 1964-1965) 411.

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