Friedrich Würthle: Ergänzungsband 9. Dokumente zum Sarajevoprozeß. Ein Quellenbericht (1978)
Vorwort
8 Jahren vor und nach der Annexion sind besonders aufschlußreich. Unter den diversen Vereinen, den Sokolverbänden, Landwirtschaftsgenossenschaften und Antialkoholvereinen kommt dem Kulturverein ,Prosvjeta‘ (Bildung, Aufklärung) und seinem Sekretär, dem Landtagsabgeordneten Vasilj Grdjic4). der seine Weisungen aus Belgrad bekam, erhöhte Bedeutung zu. Der Tätigkeit anderer angeblich unpolitischer Vereine und der serbisch-orthodoxen Geistlichkeit müßten Spezialuntersuchungen gewidmet werden. Material darüber befindet sich in dem vom Verfasser errichteten Wiener Sarajevo-Arbeits-Archiv (SAA). Die Attentats-Dokumente beginnen mit dem Antrag auf Strafverfolgung vom 28. Juni 1914. Die Meldung ZI. 1 befaßt sich mit dem Bombenanschlag des Cabrinovic, die Meldung ZI. 1 a enthält als Zusatz die Nachricht von der Ermordung des Thronfolgers und seiner Gattin. Unter den verschiedenen Abschnitten über das Attentatsverfahren von der Verhaftung bis zur Urteilsvollstreckung gibt es solche, deren Erforschung als abgeschlossen (oder beinahe abgeschlossen) gelten kann, bei anderen, so bei dem Kapitel über die Untersuchungen der Polizei, ist dieses Ziel noch nicht erreicht. In der vorliegenden Arbeit sind dafür Gründe angegeben, zum Beispiel Personaldifferenzen und der Verlust der meisten Polizeiprotokolle. In Sarajevo selbst könnte, und zwar im Archiv des ,Muzej grada Sarajeva“, wenn endlich die Neuaufstellung5) erfolgt ist, in bezug auf das Verhalten der Polizei noch manches geklärt werden. Über die gerichtliche Untersuchung herrscht wesentlich mehr Klarheit. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, daß die Anlage dieser Protokolle durch einen verantwortungsbewußten Beamten erfolgte, der die Untersuchung ohne Unterbrechung bis zum Ende durchführen konnte, und daß die Untersuchungsprotokolle noch während des Krieges amtlich übersetzt wurden. Richtig ist, daß der Untersuchungsrichter durch widersprüchliche Erklärungen und Publikationen in ein schiefes Licht geriet, aber ebenso richtig ist auch, daß ihm die aufschlußreichsten Dokumente zu verdanken sind. Die Anklageschrift gibt, weil von ihr der serbokroatische Originaltext und eine geprüfte amtliche Übersetzung vorhanden sind, keine Probleme auf; sie war nie Streitobjekt. Anders das Verhandlungsprotokoll, das zentrale Dokument des Verfahrens. Hier liegen verschiedene Texte und Übersetzungen vor, und es bedurfte langwieriger Forschungsarbeiten, an denen jugoslawische Stellen ebenso wie eine Wiener Forschergruppe Anteil hatten, um zu einer beglaubigten Abschrift des Urtextes zurückzufinden, die heute auf beiden Seiten als authentisch gilt. Die vom Verfasser dieser Zeilen ange- stellte Untersuchung beschäftigte sich auch ausführlich mit der Frage, welche Edition des Verhandlungsprotokolls dem Urtext nahekommt, beziehungsweise mit ihm identisch ist. 4) Auch Grgjic; der Grenzoffizier Kosta Todorovic nannte ihn den .Protektor“ seiner in Bosnien aufgebauten Spionageorganisation (SAA). 5) Dem Verfasser wurde die Benützung dieses Archivs zumindest mit der Begründung, es müsse erst eine Neuaufstellung erfolgen, verwehrt.