Fritz Reinöhl: Ergänzungsband 7. Geschichte der k.u.k. Kabinettskanzlei (1963)
I. Die Entwicklung der Kabinettskanzlei - 4. Die Vereinigung des Kabinetts Josephs II. mit jenem Maria Theresias und die Entwicklung der Kabinettskanzlei 1780 bis 1918 .
61 mehr nur die die königlichen Reservatrechte betreffenden Akten zugingen. Beider Funktion fand ihr Ende, als der Kaiser am 12. August nach Wien zurückkehrte 118). Am 7. Oktober floh der Hof vor der Revolution neuerdings aus Wien und begab sich nach Olmütz. Wie sich dort die Geschäftsführung gestaltete, entzieht sich unserer Kenntnis angesichts des Versagens aller Quellen. Im August unternahm der Ministerrat einen Versuch, das Kabinett zu beseitigen. Er legte dem Kaiser dar, daß in konstitutionellen Staaten keine Zwischenstelle zwischen dem Ministerrat und dem Monarchen Bestand haben könne, die Einsetzung oder Beibehaltung von Kabinettsräten untunlich sei. Er vertrat die Auffassung, daß die konzeptiven Arbeiten in den Wirkungskreis der zuständigen Ministerien zu fallen hätten, und regte an, daß der Kaiser das Staatsleben nicht berührende Angelegenheiten wie Familien- und Vermögenssachen einem Mitglied des Ministeriums oder des Hofstaates oder einem Privatbeamten zuweise, das Kabinett aber allmählich in ein Hilfsorgan des Ministerpräsidenten verwandle. Diese Umgestaltung war derart gedacht, daß die einzelnen Minister ihren Vorträgen zugleich die Entwürfe der kaiserlichen Entschließungen bzw. Handschreiben beizufügen und dem Ministerpräsidenten zu übersenden hätten. Dieser hätte, wenn die Anträge einer Erörterung oder Abänderung bedürften, sie im Ministerrat zur Sprache zu bringen, alle zur Unterbreitung an den Monarchen reifen Vorträge diesem vorzulegen und sich nach erhaltener Sanktion und Ausfertigung zu überzeugen, ob diese Ausfertigungen den Anträgen entsprächen oder wenigstens unbeanstandet zur Ausführung gebracht werden könnten. Die Geschäftsführung des Kabinettes wäre demnach auf die materielle Vorlage der Geschäftsstücke, auf deren Vormerkung und auf die Ausfertigung der Willensmeinungen des Monarchen beschränkt gewesen. Auch die ungarischen Angelegenheiten sollten auf diese Weise bearbeitet werden. Erzherzog Franz Karl und ihm folgend der Kaiser lehnten diesen Vorschlag ab. Von Doblhoff beigebrachte Bedenken, vor allem jenes, daß die Notwendigkeit konzep- tiver Arbeit durch den Bestand zweier verantwortlicher Ministerien nicht beseitigt sei, daß Reibereien dieser in gemeinsamen Angelegenheiten möglich seien, dürften hiezu geführt haben no). Der Kanzlei des Ministerrates wurden seit dessen Bestand alle an den Monarchen gerichteten Vorträge in staatlichen Angelegenheiten zur Verfassung eines Extraktes d. i. einer möglichst kurzen Wiedergabe des wesentlichen Inhaltes zugewiesen. Sie legte diesen alle Vorakten bei, trug auf Grund der von den Vortragenden Stellen entworfenen, vom Kaiser allfällig geänderten Entwürfe die allerhöchsten Entschließungen auf die Extraktbögen auf und verfaßte etwa fehlende Entwürfe und erforderlich werdende Hand118) S. Kapitel II. ii») MR. ZI. 1672.