Walter Goldinger: Ergänzungsband 5. Geschichte des Österreichischen Archivwesens (1957)

Einleitung

2 Einleitung mehr und mehr abspalten. Die Verfolgung dieser Linie führt jedoch weit stärker in die Geschichte der musealen Sammlungen. Aus den Schatzgewölben mit ihrem sehr komplexen Inhalt werden, soweit er Archivalien betrifft, die Briefgewölbe, die, als Arcana behütet, in der Hauptsache die „Jura“, die Gerechtsame, der jeweiligen Archiv­träger zu bewahren haben. Daneben bilden sich die Kanzleiarchive, die bei der sich immer stärker differenzierenden Verwaltungstätigkeit den administrativen Aufgaben des Aktenzeitalters zu dienen haben, an dessen Beginn die Gestalt Maximilians I. steht. Noch nach der Errichtung des Haus- und Staatsarchivs 1749, dem Briefgewölbe des Hauses Österreich, ranken sich um die einzelnen Zentralstellen Behördenarchive, die der laufen­den Verwaltung eingegliedert sind. Was sie in ihrer Gesamtheit zu bedeuten hatten, das hat ein großer Österreicher niedergeschrieben: Franz Grill­parzer, der selbst durch ein Vierteljahrhundert an der Spitze eines solchen Kanzleiarchivs stand: „In sämtlichen Archiven zusammen liegt auch die Geschichte des Staates und Landes. Die Altertümer der Verwaltung und Verfassung, die Wirksamkeit von Anstalten und Ämtern, die längst nicht mehr bestehen, die aber nicht allein in ihrer Einrichtung und Grundlage, sondern auch in der Art ihrer Ausübung den Schlüssel zu dem Späteren und Heutigen darbieten, Versuche und Vorsätze, Sitten und Gewohnheiten, Männer und Sachen finden ihr Andenken und ihre Erklärung“ 3). Solchen Gedanken folgend, faßt der neuafesolutistische Staat nach 1850 im Bewußtsein seiner Kraft den Plan eines Reichsarchivs ins Auge, das beide Zweige, aus denen sich die österreichischen Archive entwickelt hatten, in sich begreifen sollte. Aus äußeren, mehr aber noch aus inneren Grün­den, der Überspitzung zentralistischer Gedanken, ist dieser Plan gescheitert. Trotzdem — nach manchen Irr- und Umwegen läßt sich an der Jahrhundert­wende ein unverkennbarer Aufschwung im österreichischen Archivwesen erkennen. Die Früchte der von Helfert eingeleiteten Archivorganisation beginnen zu reifen, das historische Leben, das sich in den Ländern seit den Tagen der Romantik immer stärker entfaltet und die Landesarchive zu Trägem dieses Ideengutes gemacht hatte, erreicht jetzt eine zweite Blüte. Noch immer fehlte es aber an einer einheitlichen Organisation des öster­reichischen Archivwesens — die Hemmungen, die sich aus dem staats­rechtlichen Dualismus ergaben, dürfen nicht übersehen werden —, ebenso aber auch an einem gemeinsamen Dach für die Wiener Zentralarchive. Auch die Republik hatte mit ähnlichen Problemen zu ringen. Unter der Ungunst der Verhältnisse konnte nicht viel erreicht werden, obwohl 3) Bericht vom 12. II. 1848 an die Hofkammer über die Instruktionen wegen Ausmerzung von Akten. Druck: Franz Grillparzer, Sämtliche Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe, hgg. v. A. Sauer, III/6, 263 ff. Grillparzer bekennt: Der Unterzeichnete gesteht mit einer Art heiliger Scheu diesen Spuren vergangener Zustände gegenüber zu stehen und er ist nicht ämtlich abgehärtet genug, um bedeutenden Eingriffen in diesem ehrwürdigen Überfluß anders als mit innerem Widerstreben die Hand zu biethen.

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