Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/2. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1951)
V. Rechts-, Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte - 50. Hermann Balti (Graz): Beiträge zur Geschichte der steirischen und österreichischen Strafrechtskodifikationen im 15. und 16. Jahrhundert
Geschichte der steirischen und österreichischen Strafrechtskodifikationen im 15. und 16. Jahrhundert. 29 Zunächst die Vermutung, daß analog zu Kärnten, das 1550 eine zumindest provisorische Landgerichtsordnung erhielt, auch in Steiermark ähnliches der Fall gewesen sein könnte. Dann aber die Überlegung, ob nach älterer Auffassung ein Gesetz seine verbindliche Kraft nicht schon durch Genehmigung der Landleute als Vertreter des Landes erhalten habe ? Die königliche Willensäußerung wurde vielfach nur im Sinn einer Konfirmation eines bereits geübten Brauches empfunden. Die ganze Frage ist eng verbunden mit der zeitgenössischen Wertung der Landgerichte: Wenn auch im Rahmen des Lehenwesens die Landgerichte dem Herrscher unterstanden, so erhielt sich im Volk bei Betrachtung der Landgerichtsbarkeit nicht so sehr der Gedanke der landesherrlichen Obrigkeit, als vielmehr der der „öffentlichen“ Gewalt schlechthin. Die öffentliche Gewalt aber beruht auf dem Zusammenschluß von Rechtsgenossen und der rechtlich festgestellten Zugehörigkeit zu einem Gebiet. Was diese Rechtsgenossen oder ihre Vertreter z. B. in Gerichtssachen beschließen, hat den schwerwiegenden Vorzug, Ausdruck des Volkswillens zu sein. Wenn auch die hier vorgetragene Ansicht vornehmlich mittelalterlichen Verhältnissen entspricht, so könnte immerhin auch noch 1546, als der steirische Landtag die Landgerichtsordnung einhellig beschloß, jene alte Auffassung nachgewirkt haben, so daß in der Folgezeit auch ohne königliche Konfirmation die ganze Ordnung oder Teile von ihr als Landrecht geachtet wurden. Die ältere Rechtstechnik scheidet nicht so scharf zwischen Entwurf und fertigem Gesetz, wie dies dem heutigen Rechtsdenken selbstverständlich ist: So scheint etwa der Entwurf zur niederösterreichischen Landgerichtsordnung von 1514, der bereits 1510 verfaßt wurde, schon vor 1514 als Gesetz gehalten worden zu sein *) — er war ja von der Landschaft, dem „Land“ also, beschlossen worden. IV. Von der nur Steiermark berührenden Frage, ob der Text von 1546 Gesetz geworden sei oder nicht ganz abgesehen, besitzt diese Fassung besondere Bedeutung aus einem bisher unbekannten Umstand: Unter den für die Ausgabe von 1574 in Betracht kommenden außersteirischen Quellen erwähnte Byloff neben der einen Hauptteil stellenden Carolina die Landgerichtsordnungen von Niederösterreich 1514, Krain 1535 und die Tiroler Landesordnung von 1532. Die drei letztgenannten Quellen sind jedoch nur in spärlichem Maße als unmittelbare Quellen nachweisbar. Nun zeigte sich jedoch, daß eine Anzahl von Bestimmungen der 1559 publizierten Landgerichtsordnung für Oberösterreich wörtlich in der steirischen Ausgabe von 1574 erscheint; und all diese Sätze finden sich schon im steirischen Text von 1546! Es wäre jedoch falsch zu glauben, daß die steirische Fassung von 1546 für die oberösterreichische Ausgabe von 1559 Vorbild gewesen wäre, sondern es ist im Gegenteil so, daß schon 1546 für die steirischen Kodifikationsarbeiten teilweise jener Text verwendet wurde, der 1559 in der oberösterreichischen Landgerichtsordnung publiziert wurde. Das geht aus der Kodifikationsgeschichte der oberösterreichischen Landgerichtsordnung hervor, wie sie kurz in der Einleitung zu dieser Ordnung angedeutet ist: König Ferdinand habe, um gewisse Mißstände in der Strafgerichtspflege zu beseitigen, „Verschiener Jarn 2) den Stenden ainer Ersamen Lanndschafft . . . genediglich aufgelegt das Sy die guette gebreuch, auch alt löblich herkhomen Recht vnd gerechtigkheiten der Lanndgericht vnd Grundherrschafften aigentlich erwegen, die auch in ain Erbar bestendige Landtgerichts Ordnung verfassen . . .“ 1536 wurde der Entwurf einer Landgerichtsordnung dem König vorgelegt3). Erst am x) Vgl. nämlich die Endformel der bei B. Seuffert, Drei Register, Innsbruck 1934, S. 385 abgedruckten Vorschläge der Landschaft „So wollen wir (nämlich die Landschaft) darob sein, das dieselben in allen Landtgerichten sich meniglich darnach zu richten, verkhündt werden“. Die Landschaft übernimmt es also, dafür zu sorgen, daß ihr Gesetzestext überall publiziert und beachtet wird. 2) Nämlich 1534. Vgl. Julius Strnadt, Materialien zur Geschichte der Entwicklung der Gerichtsverfassung und des Verfahrens in den alten Vierteln des Landes ob der Enns bis zum Untergang der Patrimonial-Gerichtsbarkeit, AÖG. 97, 1909, S. 188 ff. 3) Weder der Entwurf noch anderes Material sind nach Strnadt im Archiv anzutreffen; eine Anfrage an das Landesarchiv in Linz zeitigte ebenfalls kein Ergebnis.