Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/2. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1951)

VI. Kirchengeschichte - 64. Friedrich Engel-Jánosi (Washington): Zwei Studien zur Geschichte des österreichischen Vetorechtes

Zwei Studien zur Geschichte des österreichischen Vetorechtes. 295 Nimbus gegeben.“ Der formelle Bruch zwischen Vatikan und Frankreich ist erst unter dem Pontifikat Pius X. durch die Trennung von Staat und Kirche im Jahre 1905 erfolgt und vielfach hört man die Ansicht vertreten, daß es unter Leo XIII. und Kardinal Rampolla nie zu einem Bruch mit Frankreich gekommen wäre. Der Botschafter selbst teilt eine solche Auffassung nicht; er sieht in dem Bruch die natürliche Folge der verkehrten Politik Leos XIII. und seines Staatssekretärs, die sich von den unaufhörlichen Konzessionen an Frankreich erhofften, daß dieses „eventuell mit Hilfe des verbündeten Rußlands das dominium temporale wieder herstellen werde. Die Folge aber dieser auf einer vollkommenen Verkennung der tatsächlichen Verhältnisse beruhenden Politik hat der gegenwärtige Papst zu tragen und der Mißerfolg wird ihm zugeschrieben“. Der Botschafter hat, wie er berichtet, nach dem Konklave von 1903 die offiziellen Beziehungen zu Rampolla wieder aufgenommen und dieser Verkehr erfolgt ohne irgendeine Schwierigkeit, ja der Kardinal scheint „mit einer gewissen Ostentation bestrebt“, gegen Österreich besonders liebenswürdig zu erscheinen. „Ich habe aber trotzdem alle Ursache, zu glauben, daß Kardinal Rampolla uns nichts weniger als wohlgesinnt ist und daß daher seine Erhebung auf den Stuhl Petri für unsere Interessen keineswegs förderlich wäre.“ Die besonnenen Elemente im Kollege würden beim nächsten Konklave gewiß bedenken, wie schwierig sich die Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und Österreich-Ungarn nach einer Wahl Rampollas gestalten würden. „Aber werden die besonnenen Elemente die Oberhand behalten ?“ Die offizielle Ausübung eines Veto ist wohl seit den Konstitutionen Pius X., der die Übernahme eines solchen Auftrags mit den schwersten Kirchenstrafen belegte, ausgeschlossen; „es bleibt aber den (österreichischen) Kardinälen unbenommen, ihre persönliche Ansicht über die Kandidaten ihren Kollegen mitzuteilen“. Der Botschafter meint daher, daß im Falle einer aussichtsreichen Kandidatur Rampollas beim nächsten Konklave die österreichischen Kardinäle ihre private Ansicht dahin äußern sollten, daß eine solche Wahl die Beziehungen „der Kurie zur österreich-ungarischen Monarchie ernstlich gefährden“ würde. Eine solche Erklärung „dürfte doch einen ziemlichen Eindruck auf die Wähler machen“. Am sichersten freilich würden alle Besorgnisse bezüglich Rampolla durch ein sehr langes Leben Pius X. gebannt werden. Der erste Sektionschef im Ministerium des Äußern, Kajetan von Merey, trat den Ausführungen des Botschafters entgegen x). Merey sollte später, als er Botschafter am Quirinal geworden war, wegen seiner italienunfreundlichen Haltung im Sommer 1914 den lebhaften Tadel Prinz Bülows hervorrufen 2). Bei einem in nicht zu ferner Zeit statt­findenden Konklave sah er damals, im Jänner 1908, zwei Möglichkeiten sich darbieten: entweder eine Kandidatur Rampollas oder Rampolla als Papstmacher. Infolge des end­gültigen Bruchs zwischen dem Vatikan und Frankreich nehme die Donaumonarchie die erste Stelle unter den katholischen Staaten ein 3). „Rampolla ist nach allgemeinem Urteil ein hochbegabter, großangelegter, zugleich sehr kluger Mann.“ Einem solchen Mann ist nicht an den äußerlichen Ehren, sondern an der tatsächlichen Macht gelegen. Eine neuerliche Kandidatur könnte als Brüskierung Österreich-Ungarns angesehen werden. „Ein Ausweg wäre vielleicht, einen Rampolla völlig ergebenen Kardinal zu wählen. Die befürchtete Provokation der Monarchie wäre vermieden und Rampolla würde sich vielleicht mit der Rolle des dann allmächtigen Drahtziehers begnügen.“ J) Promemoria vom 18. Jänner 1908; „Über die Chancen der künftigen Papstwahl“; Geheime Liasse XXXXVI/4. — Kajetan Mérey von Kapos-Mére war seit 1904 erster Sektionschef im Ministerium des Äußern; am 4. März 1910 wurde er zum Botschafter am Quirinal ernannt. 2) Fürst Bülow, Denkwürdigkeiten, Bd. III (Berlin 1931), S. 187 f. 3) Diese Anschaumig vertrat noch im Sommer 1914 der österreichisch-ungarische Gesandte Moriz Graf Pálffy in seinem Bericht Rom—Vatikan vom 29. Juli 1914; vgl. Österreich-Ungarns Außenpolitik von der bosnischen Krise 1908 bis zum Kriegsausbruch 1914 (Österreichischer Bundesverlag für Unterricht, Wissenschaft und Kunst, 1930), VIII, 894.

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