Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/2. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1951)

VI. Kirchengeschichte - 63. Andreas Posch (Graz): Die deutsch-katholische Gemeinde in Wien

272 Posch, bezeugt die „Wiener Studentenzeitung“1) unter dem Titel: „Ein katholischer Priester, ein Apostel des Lichtes“, daß er Worte begeisterten Fortschrittes gesprochen habe. Anderseits war er genötigt, für die zweite Versammlung den aus Arbeitern und Studenten bestehenden Sicherheitsausschuß um Saalschutz zu bitten, da Störungsversuche befürchtet wurden. Als zweiter Redner erscheint Pauli. Desgleichen in einer Versammlung des 20. August im selben Saal, wo 10.000 Besucher verzeichnet werden und ein falscher Feueralarm einige Verwirrung verursachte. Während aber Hirschberger von einer Reform des Katholizismus sprach, die durch den Reichstag beim Papst in Rom verlangt werden sollte, schlug Pauli viel radikalere Töne an. „Er predigt die allein wahre Religion, die älter ist als jede Kirche, die Vernunftsreligion 2).“ Satire und Witz werden ihm nachgerühmt. Der Wiener wolle die ganze Freiheit und daher überhaupt keine Kirche. Der Deutschkatholizismus, der im übrigen Deutschland noch eine Kirche bildet, wird hier in Wien zur Vernunftsreligion. Der alte Rongeanismus, wieder eine Kunstreligion, würde hier nicht ziehen, aber Pauli mit seiner unumwundenen Wahrheit wird bald ganz Wien hinter sich haben. Er ist der Apostel des Evangeliums der Freiheit. Pauli — nomen et omen. Hingegen sind Hirschbergers Reformpläne der alten Kirche nur eine halbe Wahrheit 3). Man sieht also, daß es schon unter den Vorläufern des Deutschkatholizismus in Wien eine konservativere und radikalere Auffassung gab, wovon letztere mehr Anklang zu finden schien. In einer Versammlung vom 29. August verlas Pauli das Glaubensbekenntnis der Deutschkatholiken, welches die Abschaffung der Messe vorsieht, Dreifaltigkeit, Erbsünde und Teufel leugnet, die Beichte abschafft, die Ehe als rein bürgerlichen, auflösbaren Vertrag erklärt und unentgeltliche Taufe und Beerdigung vorschlägt. „Wir wollen“, so sagt Pauli, „eine deutsche Religion auf Grundlage der Vernunft gründen, die auch das Gewissen als einzige Richtschnur des Handelns immer mehr anregt. Die Leugnung der Dreifaltigkeit soll kein Grund sein, uns in Wien die Duldung zu verweigern, denn auch die Sozinianer, die in Siebenbürgen erlaubt sind, leugnen sie. Wenn wir Christus nur als Menschen anerkennen, so verliert seine Würde nichts. Wenn die Juden geduldet werden, die in Jesus einen Feind sehen, um wieviel mehr wir, die wir ihn unseren Freund nennen. In Wien ist es Licht geworden und wenn heute ein Papst wieder käme, wie einst Pius VI., so würden wohl nur wenige um seinen Segen niederknien. Wir nennen uns deutschkatholisch, denn deutsch sind wir und auch katholisch im Sinne von allgemein anwendbar 4).“ Hirschberger legte hier auch die Grundzüge der neuen Gemeinde­verfassung vor, wonach alle Mitglieder stimmberechtigt sein sollen. Der Prediger, der auch das Abendmahl spendet, wird so von der Gemeinde gewählt und besoldet werden. Hirsch­berger kann melden, daß sich schon 1300 Mitglieder der neuen Gemeinde gefunden hätten. Während manche radikale Tagblätter diesen religiösen Radikalismus begrüßten, wurden andere davon abgestoßen, so z. B. Schuselka, der auch die Verquickung mit den politischen Zielen tadelt und von der würdelosen, jeder religiösen Weihe entbehrenden Haltung des Kaplans Pauli in der ersten Versammlung spricht, die seine religiösen Gefühle verletzt habe. Die religiöse Bewegung sei profaniert worden und sein Gewissen gestatte ihm nicht, daran teilzunehmen5). Auch andere warnende Stimmen erhoben sich. Ein Flugblatt mit dem Titel: „Keine neue Religion, sondern die uralte! Ein Wort an die Deutsch­katholiken, ihre Freunde und Feinde“, will glauben machen, der Deutschkatholizismus habe die Aufgabe, die Christen im heiligen Bruderbund zu versöhnen, also die religiöse Spaltung zu überwinden. Ein anderes Flugblatt „von einem Akademiker“ gezeichnet, wird noch x) Nr. 30 vom 18. August 1848. 2) „Konstitution“ vom 24. August 1848. 3) „Konstitution“ vom 20. August 1848. 4) Die Rede Paulis wurde in Druck verbreitet. Die WKZ. vom 29. August 1850 kommt darauf zurück, als sich die Gemeinde nach zwei Jahren neuerdings um die Anerkennung bewarb, und warnt die Behörde, eine Sekte zu dulden, die völlig im Negativen aufgeht. 8) Schuselka F., Das Re volutions jahr 1848/1849, Wien 1850, S. 329.

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