Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/1. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1949)

IV. Quellen und Quellenkunde - 44. Oskar Regele (Wien): Die Geschichtsschreibung im Wiener Kriegsarchiv von Kaiser Joseph II. (1779) bis zum Ende des ersten Weltkrieges (1918)

736 Regele, FM. Erzherzog Albrecht zur Begutachtung und erhielt von seinem ehemaligen Gegner den Rat, die Denkwürdigkeiten lieber nicht zu veröffentlichen, sie könnten der italienischen Armee mehr schaden als die Niederlage am Schlachtfeld von Custoza. Die Wehrmacht ist ein bleibender Faktor im Staatsgefüge, sie tritt nicht nach einer bestimmten Zeit von der Schaubühne ab wie dieser oder jener Staatsmann, dessen Beurteilung stets eine mehr persön­liche und vergängliche Angelegenheit bleibt, daher dem Staat nicht dauernd schaden kann. Die Rücksichtnahme auf die Wehrmacht, die schließlich kein Körper für sich, sondern eine Erscheinungsform des Volkes, daher das Volk selbst ist, darf freilich niemals die Grenzen einer maßvollen Staatsraison überschreiten und, wie seinerzeit in Preußen, Italien oder Japan, chauvinistischen Übertreibungen verfallen, die zwangsläufig zur Selbsttäuschung und zum Unterliegen führen. In der preußischen Art Kriegsgeschichte zu schreiben, erblickte Emil Daniels nicht mit Unrecht eine der maßgebendsten Ursachen der Niederlage an der Marne im Jahre 1914 x). Mit dieser Rücksicht auf die Wehrmacht hängt enge die Verfechtung eines bestimmten Standpunktes innerhalb der historischen Darstellung zusammen. Wir finden Standpunktgeschichte überall, wo es sich darum handelt, einen Meinungsstreit auszutragen, ein Prioritätsrecht, ein geistiges Eigentum geltend zu machen, eine Abwehr ungerechtfertigter Angriffe oder eine Richtigstellung vorzunehmen. Rothkirch verlangt von der Kriegs­geschichtsschreibung, sie solle den eigenen Standpunkt vertreten und falsche Darstellungen berichtigen * 2) und er versprach bei Verfassung der Geschichte des Krieges 1792—1797 „ein Werk zu Stande zu bringen, das von der Liberalität der Regierung zeugen, und die Irrtümer berichtigen soll, durch die fremde Geschichtsschreiber unseren Staat, unsere Heere und Feldherrn nur zu oft verunglimpfen 3)“. Im Programm für die Bearbeitung des Werkes „Österreichischer Erbfolgekrieg 1740 bis 1748“ (Wien 1892) setzte Leander v. Wetzer u. a. fest: „Weiter wird die politische Orientierung . . . eingehender werden dürfen, als sie in dem preußischen Werke ist, ... da . . . doch vor allem der überlegene rechtliche Standpunkt Österreichs zur Geltung gelangen muß ................. das entsprechende Gegengewicht gegen die preußische Darstellung . . . “ u nd in der vom Chef des Generalstabes FZM. v. Beck genehmigten „Dienstvorschrift für das k. u. k. Kriegsarchiv“ (1899) verlangt ebenfalls Wetzer: ...............daß aber die kriegs­g eschichtliche Abteilung vor allem vom Standpunkte und der Rechtsauffassung des k. u. k. Soldaten aus schreibt.........“ Wetzers Nachfolger als Kriegsarchivdirektor, Emil v. Woino­vich, wies in den „Direktiven für die Bearbeitung der Kriege gegen Frankreich 1792 bis 1815 4)“ darauf hin, „.... daß gerade ein Werk über diese Kriege, vom österreichischen Standpunkte aus mit bedeutend größeren Schwierigkeiten zu kämpfen hat, als eines, das einen anderen Standpunkt vertritt.................“ und der letzte k. u. k. Kriegsarchivdirektor M aximilian v. Hoen stellte in seinen „Richtlinien für die Geschichtsschreibung 5)“ das Prestige über den Lehrzweck. Daß diese Forderungen keine rein soldatischen sind, beweisen die diesbezüglichen Stellungnahmen von Bernheim und Bauer. Während Bern heim mit den Worten „Auch der Historiker kann und soll sich eines bestimmten Standpunktes nicht entschlagen6)“ den Wunsch verbindet, der Historiker möge seinen subjektiven *) „Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte“ von Hans Delbrück, fortgesetzt von Emil Daniels, Berlin 1932, 6. Teil, S. 673 f. 2) „Wie soll man Kriegsgeschichte schreiben ?“ S. 152 f. 3) „Über die Geschäftsführung im Kriegsarchiv und über die daselbst vorzunehmenden Arbeiten“ (Referat an Radetzky 1810 in den Sammelakten des KA. zur „Geschichte des Kriegsarchivs“). 4) Direktionsakten des KA. ZI. 593-1902. — Von den in diesem Aufsatze genannten Militär-Historikern gehörten dem Kriegsarchiv an: FMLt. Friedrich Freih. v. Fischer als Vorstand des Generalstabsbüros für Kriegsgeschichte (1867—1872) und als Direktoren FMLt. Maximilian Ritter von Hoen (1916—1925), FZM. Leander v. Wetzer (1888—1901) und G. d. I. Emil Freih. v. Woinovich (1901—1916). 5) Direktionsakten des KA. 10. Oktober 1917. •) „Lehrbuch“, S. 707.

Next

/
Oldalképek
Tartalom