Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/1. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1949)

I. Archiv-Wissenschaften - 3. Dyonis Jánossy (Budapest): Das Archivgesetz in Ungarn

16 Jánossy, vertretenen Anstalten Museen waren. Dadurch trat aber mehr zu Tage, daß die grund­legende wissenschaftliche Organisierung, welche die Gemeinschaft ins Leben rief, von falschen Prämissen ausgegangen war, weil ein Archiv nach den modernen fachlichen Grundsätzen nicht als eine Sammlung von schriftlichen historischen Denkmälern, sondern als eine Reihe von organischen Archivkörpern zu betrachten sei, im Gegensatz zu den Museen oder Bibliotheken, bei denen das Grundprinzip das Aneinanderreichen von anorganischen Kultur­denkmälern das Vorherrschende ist. Nichtsdestoweniger hatte diese vom fachlichen Stand­punkte mit Recht bemängelte Organisation den ansonsten unerreichbaren Vorteil, daß die archivalischen Bestände, der dem Nationalmuseum angegliederten Nationalbibliothek mit den Beständen des Staatsarchivs vereinigt wurden. Das Nationalmuseum hatte nämlich im Laufe des letzten Jahrhunderts seine Sammel­tätigkeit auch auf die schriftlichen Geschichtsquellen erweitert und durch Ankauf oder aber durch Schenkung eine stattliche und wertvolle Sammlung von losen Schriftstücken histo­rischen Wertes und Archivfragmenten angelegt. Auch viele Archiveigentümer wurden durch entsprechende Presseaufklärung bewogen, ihre Archive im Nationalmuseum zu deponieren, deren Zahl in die Hunderte wuchs. Dadurch wurde nicht nur der Schutz dieser schriftlichen Denkmäler entsprechend gesichert, sondern auch deren wissenschaftliche Benützung gefördert, die ansonsten entweder verschollen oder aber der Forschung unzugänglich geblieben wären. Es wurde also das Staatsarchiv das zentrale Repositorium der wichtigsten Archiv­bestände und dem Gesetzartikel VIII vom Jahre 1934 gemäß die zentrale Übernahmsstelle sämtlicher Ministerialregistraturen. Für die Abgabe der letzteren war die privat rechtliche 32jährige Verjährungsfrist festgesetzt, d. h. nur die jüngeren Bestände sollten in den Ministerialregistraturen zurückbehalten werden. Schon vor der Errichtung des Staatsarchivs — im Laufe der vorangehenden kommis- sionellen Beratungen — wurde das Schicksal der in sehr kläglichem Zustande sich befindlichen Komitats-, Städte- und Gemeindearchive eindringlich erörtert. Dieselben waren dem Ministerium des Innern unterstellt und befinden sich auch derzeit in derselben Unterordnung. Es wurden gewisse Stimmen laut, daß diese Archive zentralisiert und in die Kompetenz des Kultus- und Unterrichtsministeriums überstellt werden sollten. Dessenungeachtet siegte die Auffassung, daß diese auch weiterhin dezentralisiert und dem Innenministerium unter­stellt bleiben sollten, jedoch unter der Bedingung, daß deren Oberaufsicht hinsichtlich der historischen Bestände dem Kultusminister eingeräumt werden müßte. Eine solche gesetzliche Regulierung erfolgte aber erst mit dem Gesetzartikel XI vom Jahre 1929. Die Ordnungs- und Skartierungsarbeiten derselben werden vom Innenministerium zur fachlichen Überprüfung dem Staatsarchiv vorgelegt — eine noch aus der Zeit aufrecht­erhaltenen Verfügung, wenn auch das Staatsarchiv demselben Ministerium unterstellt war — und wurde dadurch eine indirekte Ingerenz gesichert seitens der Zentralanstalt zwecks Förderung der fachlichen Schutzmaßnahmen. Derselbe Gesetzartikel verfügte weiters über den Schutz der Bestände der glaub­würdigen Orte, welche bis zur im Jahre 1874 erfolgten Errichtung der öffentlichen Notariate ihre Tätigkeit ausübten, ferner jener der kirchlichen Behörden und Körperschaften, jedoch mit der Bestimmung, daß die Oberaufsicht des Kultusministers im Einvernehmen mit den kompetenten kirchlichen Behörden und Körperschaften erfolgen sollte. Mit dieser Oberaufsicht war natürlich nur der erste Schritt getan, um für die Aufbewahrung der staatlichen und munizipalen Archivbestände, ferner der glaubwürdigen Orte und der kirchlichen Archive wirksame Schutzmaßnahmen treffen zu können. Indessen blieb das weite Gebiet der nicht staatlichen Archive, welche eine unerschöpfliche Quelle der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte darstellen, auch weiterhin vollkommen unorganisiert und haupt­sächlich war für deren Aufrechterhaltung nicht im geringsten gesorgt. Es sollen hier nur z. B. die Geschäftskorrespondenzen der industriellen und wirtschaftlichen Betriebe, der Bank-

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