Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/1. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1949)
I. Archiv-Wissenschaften - 3. Dyonis Jánossy (Budapest): Das Archivgesetz in Ungarn
14 Jánoasy, tionen, ferner der Kontrakte und der Prozeßakten von ausschlaggebender Wichtigkeit, um die Rechte und Verbindlichkeiten der einzelnen richtig beweisen zu können. Die Bedeutung dieser Archive wuchs noch zur Zeit der nach Ende der Türkenbelagerung im 17. Jahrhundert eingesetzten commissiones neoaquisticae, welchen es oblag, die Rechtstitel der Familien zu ihren Liegenschaften zu überprüfen. Die Entwicklung der Archive der Städte und Ortsgemeinden war durch eine ähnliche rechtbewahrende Notwendigkeit bestimmt, wie jene der Privatarchive. Die Privilegial- urkunden der Städte und Ortsgemeinden, welche die bürgerlichen Rechte beinhalten, fassen die Bürger als Mitglieder einer großen Familie zusammen, in deren Interesse es lag, schon im Mittelalter die ihre Rechte betreffenden Urkunden und Schriften registrieren und aufbewahren zu lassen 1). Dies geschah um so leichter, weil die Stelle der Honoratioren, deren Pflicht es war, für das Archiv zu sorgen, regelmäßig erfüllt wurde. Die Entstehung der Komitatsarchive wurde dagegen im allgemeinen durch den Umstand gehemmt, daß die Leiter der Komitate, die sogenannten Obergespane, ständig wechselten und nach Niederlegung ihres Amtes zumeist unterließen, die eingelaufenen Schriften ihren Nachfolgern zu übergeben. Erst später, wenn die Vizegespane als gewählte erste Beamte der Komitate ihre Tätigkeit ausübten, war für die Aufrechterhaltung der Komitatsarchive ihrerseits ständige Vorsorge getroffen. Dies geschah jedoch erst in der Neuzeit, vornehmlich im 18. Jahrhundert, wenn gesetzliche Verfügungen den Standort und die Archivmanipulation der einzelnen Komitate bestimmten 2). Wie bekannt, sind nach dem Verfall des Landes im 16. Jahrhundert infolge der Verschleppungen und der Verwüstungen der vordringenden Türken die Bestände des königlichen Archivs sozusagen verschollen. Dasselbe Los wurde auch den Urkunden zuteil, welche der Obhut der Palatine anvertraut waren. Nach der Katastrophe von Mohács im Jahre 1526 hörte die Zentralgewalt auf Jahrhunderte auf, um einer Dreiteilung des Landes Raum zu geben. Daher war die Möglichkeit auf lange Sicht verschwunden, einem solchen Organismus, wie das königliche Archiv im Mittelalter war, die Vorbedingungen zu sichern. Sobald aber der Schwerpunkt der Zentralgewalt nach der Machtergreifung der Habsburger nach Wien verlegt wurde, erkannten die ungarischen Stände die Notwendigkeit des Schutzes jener Privilegialbriefe, welche die „Freiheiten des Landes“ bewiesen. Das waren eben die den Palatinen an vertrauten und während der kriegerischen Verwirrungen in Verlust geratenen Urkunden staatsrechtlichen Charakters, deren Ausforschung bereits im Laufe der Preßburger diaetalen Verhandlungen der Stände ins Auge gefaßt wurde 3). Die Regelung der Frage dieser „acta publica“ des Landes erfolgte aber erst im 17. Jahrhundert, indem die Gesetzgebung vom Jahre 1613 die Erben der jeweiligen Palatine für die Ausfolgung der genannten Urkunden verpflichtete. Diese Verfügung erweiterte insoweit der Ödenburger Diät vom Jahre 1681, daß das geringe Palatinalarchiv mit allen jenen acta publica — d. h. mit den Gesetzen, Konskriptionen, Dokumenten über die königliche Krone usw. — ergänzt werden sollten, welche im Lande wo immer aufgefunden werden. Eine grundlegende Regulierung der Schutzmaßnahmen bezüglich der staatsrechtlichen Dokumente erfolgte aber erst im Jahre 1723, indem der Gesetzartikel XLV. über die Errichtung eines Archivum Regnicolare verfügte. Selbstverständlich war es nicht die Aufgabe eines solchen Archivum Regnicolare, die Bestände der Zentralbehörden zu beanspruchen, da sie nach ständischem Ermessen Házi Jenő, Das Archiv der Stadt Ödenburg, Archiv. Mitteilungen, Budapest, 1923, pag. 239 et sequ.; Fekete Nagy Antal, op. cit. pag. 33. 2) Föglein Antal, Das Archiv des Komitats Baranya, Archiv. Mitteilungen, Budapest, 1927, pag. 221 et sequ.; Fára József, Das Archiv des Komitats Zala, ibidem, 1935, pag. 220; cf. Fekete Nagy Antal, op. cit. pag. 35. 3) Kossányi Béla, Das königlich ungarische Staatsarchiv. Sonderdruck aus dem Werke: Die ungarische Stadt von Heute, Budapest, 1938, pag. 2.