Leo Santifaller: Ergänzungsband 2/1. Festschrift zur Feier des 200 jährigen Bestandes des HHStA 2 Bände (1949)
I. Archiv-Wissenschaften - 2. A. C. Breycha-Vauthier (Genf): Dokumente um ein Leben. Die „Bertha-von-Suttner-Sammlung“ der Bibliothek der Vereinten Nationen
9 Dokumente um ein Leben. Die „Bertha-von-Suttner-Sammlung" der Bibliothek der Vereinten Nationen. Von A. C. Breycha-Vauthier (Genf). Bekannt ist, daß in Genf die ehemalige Völkerbundbibliothek, jetzt Bibliothek der Vereinten Nationen, die größte Sammlung amtlichen Schrifttums aller Länder der Welt aufgebaut hat und weiter entwickelt; so enthält diese denn auch, was Österreich betrifft, wohl mehr solches für das staatliche Leben bedeutsames Material — seien es Gesetze, Parlamentsdebatten, amtliche Statistiken und Berichte aller Art — als dieses anderswo, außerhalb der Landesgrenzen gefunden werden kann. Weniger bekannt ist aber vielen, daß Genf noch eine speziell österreichische Sammlung beherbergt, die eine wohl einzigartige Schau internationaler Beziehungen in den Jahrzehnten vor dem ersten Weltkrieg bildet, gleichzeitig aber auch durch die Persönlichkeit, um die sie sich aufbaut, ein Stück heimatlichen Schaffens darstellt. Diese Sammlung kam 1931 nach Genf, als der gesamte damals noch vorhandene literarische Nachlaß der großen Vorkämpferin der Friedensbewegung in Österreich und in der Welt, zusammen mit der Korrespondenz ihres unermüdlichen Beraters und Mitstreiters Alfred H. Fried, zum Verkauf gelangte und somit in Gefahr geriet, auseinandergerissen zu werden. Damals entschlossen sich der Direktor der Völkerbundbibliothek, T. P. Sevensma, dieses Material für deren internationales Archiv der Geschichte der Friedensbewegung zu erwerben. Die österreichischen Behörden billigten diesen Verkauf an eine internationale Forschungsstelle aus der richtigen Erkenntnis heraus, daß der Übergang an eine überstaatliche Organisation auch weiterhin zumindest österreichisches Miteigentum bedeute. Die Sammlung ist dadurch auch in der Zeit, da die deutsche Besetzung Österreich von der großen Welt abgeschnitten hatte, zugänglich geblieben und konnte, als die Menschheit wieder einmal daran ging eine leistungsfähige internationale Organisation zu schaffen und danach strebte, die klingende Mitte eines richtig verstandenen Ausgleichs zwischen nationalen Notwendigkeiten und internationaler Realität zu finden, manche Anregung vermitteln. Wenn Bertha von Suttner auch in ihrer besetzten Heimat zeitweise verfemt war, ihr Name von den Straßentafeln und ihre Bücher aus den Bibliotheken verschwanden, so hat das Ausland dennoch, oder vielleicht gerade deshalb, immer wieder dieser großen Frau aus Österreich gedacht, besonders anläßlich ihres 100. Geburtstages am 9. Juni 1943. Von der damals herausgekommenen Erinnerungsnummer der „Friedenswarte“, der Zeitschrift, an der sie jahrzehntelang so entscheidend gewirkt hatte und die nach dem Einbruch des Nationalsozialismus das einzige unabhängige völkerrechtliche Organ der Welt in deutscher Sprache geblieben war, dürfte allerdings wohl kaum ein Exemplar damals seinen Weg von Genf nach Wien gefunden haben. Was eine Persönlichkeit wie „die Suttner“ bedeutet hat, können wir Nachfahren in einer Zeit, die zwar reicher an universellen Problemen, aber ärmer an entsprechenden Persönlichkeiten geworden ist, nicht mehr so leicht begreifen. Wie eine gefeierte junge Gräfin und Sängerin, zu Hause in der Gesellschaft der Hauptstädte Europas, durch die Not der Ereignisse während einer neunjährigen „Verbannung“ im Kaukasus, als Folge einer den Eltern nicht genehmen Heirat, zu einer großen Schriftstellerin der Weltliteratur heranwuchs; wie sie aus dem Land Jasons und Medeas in ihre niederösterreichische Heimat zurück-