Evangelischen obergymnasiums, Bistritz, 1872

23 Richter. „Das Volk soll den dazu wählen welcher der Tüchtigste scheint," sagt der König im Freibrief. Wenn der König die deutschen Ansiedler den ungarischen Gerichten, unterworfen hätte, da wäre'ihre Nationalität gar bald verloren ge­gangen und das Volk dadurch zur Erfüllung deS Zweckes seiner Einberufung untüchtig geworden. Denn ihre alte, aus Deutschland mitgebrachte Verfaßung und Rechtspflege war wesentlich verschieden von der ihrer ungarischen Nach­barn. Während diese auf die Grundsätze des Lehnsrechtes und die damit ver­bundenen Vorrechte 'des Adels sich stützte, beruhte die Verfaßung der Sachsen auf den Einrichtungen des freien deutschen Städtewesens, also auf persönlicher Freiheit und Gleichheit. Da gab es keine adligen Vorrechte, Jeder war vor dem Gesetze gleich; sie kannten keinen bevorzugten Grundbesitz, kein eigenes Gericht für priviligirte Stände. Um deshalb dem Volke seine Eigenart durch sein freies Recht zu bewahren, beließ der König ihnen die einheimischen Richter und verordnete in seinem Freibriefe: „Wenn aber Jemand Einen derselben in einer Geldangelegenheit belangen wollte, so soll er vor dem Richter keine Zeugen gebrauchen können, außer solche, die innerhalb ihrer Grenzen leben, indem wir sie von jeder fremden Gerichtsbarkeit gänzlich befreien." Also nur der Volksgenosse konnte den Volksgenossen richten und keine fremde Gerichts­barkeit hatte Gewalt über die Ansiedler. Selbst vor den König durften sie nicht gefordert werden, außer wenn der Rechtsstreit vor ihrem Richter nicht ent­schieden werden konnte. Aber nicht nur die selbstgewählten Gerichtsbehörden gestattete ihnen der König, sondern er verlieh ihnen auch das Recht der eigenen Gesetzgebung. „Die Richter sollen nur nach dem alten Gewohnheitsrecht richten dürfen," hieß es im Freibrief. Und dieses Gewohnheitsrecht war das deutsche, das sie aus dem Mutterlande mitgebracht. Wie hätten aber auch ihre fremden Nachbarn ihnen Gesetze geben können, da sie weder ihre Sitten, noch ihre Ver- hältniße, noch ihre Sprache kannten? Das alte Gewohnheitsrecht beruhte zwar auf keinem geschriebenen Gesetze, aber es war den Vorstehern des Volkes genau bekannt. Unter dem Schutze desselben waren sie ausgewachsen, es lebte in den Herzen Aller. Die ganze Volksgemeinde übte die richterliche Gewalt, es gab noch keine bezahlten Richter, kein bezahltes Recht. An bestimmten Tagen ver­sammelte sich die Gemeinde auf der Malstätte, nicht zwischen den vier Wänden des Hauses, sondern draußen nach Sitte der deutschen Väter unter dem grünen Dache der gewaltigen Eiche, über die sich Gottes freier Himmel wölbte. Da wurde Gericht gehalten und Recht gesprochen über Ehr uud Eigen und Leben des freien Mannes. So schlichteten die Väter die Angelegenheiten ihrer Mit­bürger nach ihrem alten Gewohnheitsrecht, dessen verfaßungsmäßigen Gebrauch ihnen König Andreas bestättigte. So verlieh er ihnen in seinem Freibriefe die unerläßlichen Bedingungen zu ihrem Gedeihen, eigene Gesetze, eigene Gerichts­barkeit und Unabhängigkeit von den übrigen Landesgerichten; so bewahrte er ihr deutsches Recht, ihre deutschen Sitten und Gebräuche und damit ihre Tüchtigkeit zur Erfüllung des Zweckes ihrer Einberufung.

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