Evangelischen obergymnasiums, Bistritz, 1871
6 Aufgabe und Gegenstand der Bildung ist der Mensch. Es gibt aber keinen Menschen in abstracto, so wenig es eine Pflanze oder ein Thier gibt, sondern das Allgemeinmenschliche kommt nur ganz bestimmt geartet und mit hundert Eigenthümlichkeiten verbunden in jedem Einzelwesen zur Erscheinung: es ist in allen, keines ist es. Der allgemeine Begriff „Mensch" kann nur durch Abziehung alles Eigenartigen, Individuellen, Zufälligen, z. B. Farbe, Größe, Sprache rc. gewonnen werden und ist mithin Verneinung aller Eigenart. Und was bleibt übrig nach Entfernung alles Eigenartigen? „Der Mensch ist ein zweihändiges und zweifüßiges Sängethier, das aufrechten Gang, Sprache und Entwicklungsfähigkeit hat." Kann dieser Begriff „Mensch" wohl Ideal für die Jngendbildung sein?-Eine Humanitätsbildung d. h. eine rein und allgemein menschliche, eine solche die sich den Menschen in abstracto als Ziel setzt ist daher ein völliger Unsinn. Was man humanistische Bildung nannte und nennt ist griechische und römische Bildung. Nur in einer Hinsicht schwindet am Menschen das Zufällige, Nationalität, Stand, Alter, Geschlecht — vor Gott daher die religiöse Bildung einen weltbürgerlichen Zug hat. Wo aber Menschen mit Menschen verkehren, da gelten sie nur soviel als sie einem Volke, Staate, Kirche angehören und Volk und Staat und Kirche selbst gelten. Die Menschen sind durch Nationalität, welche sich am schärfsten in der Sprache ausprägt durch Religion und Staat bestimmt. Was das Volk, die Gesellschaft in die wir hineingeboren werden in diesen drei Richtungen (der nationalen kirchlichen und staatlichen) herausgearbeitet und entwickelt, was es sonst an Kenntnissen und Gedanken gewonnen hat, die Art wie es denkt empfindet und will, diese Summe und Art ist die Volks- oder allgemeine Bildung. Jede gesunde Bildung und besonders die Jugendbildung muß daher in ihrem Kerne volksthümliche (national) sein.*) Wo ein Volk fremde Art und Sprache mehr liebt und mit Vernachlässigung des Eigenen sich aneignet, legt es selbst Hand an sich, untergräbt es mit eigener Hand die stärksten Wurzeln seiner Kraft „Liebe zum Fremden ist allemal Verfall" (Schleiermacher). Das deutsche Leben ist das redenste Beispiel. Liebe zum Fremden, fremder Sprache und Sitte gehen mit dem staatlichen Verfalle Hand in Hand wie Liebe und Werthschätzung des eigenen angestammten Wesens mit Deutschlands staatlicher Größe und Wiedergeburt ungefähr seit den letzten neunzig Jahren. *) Schleiermacher Erziehungslehre S. 592 „Eine allgemeine Religion und eine von aller Nationalität entblößte Sitte sind eben solche Chimären, wie eine allgemeine Sprache und ein allgemeiner Staat. Auch die Wissenschaft ist durch die Sprache national, wie die Dichtkunst. Wir sprechen von deutscher Wissenschaft von griechischer Philosophie".