Budapest und Wien. Technischer Fortschritt und urbaner Aufschwung im 19. Jahrhundert - Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs 9. - Beiträge zur Stadtgeschichte 7. (Budapest - Wien, 2003)

Peter Csendes: Stadtentwicklung und Stadtplanung in Wien im 19. Jahrhundert

38 privaten Bereich, wobei es auch im Zusammenhang mit dem Wahlsystem nicht verwundert, dass die Zahl der Hausbesitzer im Gemeinderat sehr hoch war. Selbst die Wohnungsreformer, die sich seit den 1860er Jahren zu artikulieren begannen, hatten die eigentlichen Krisenbereiche - nämlich die Wohnverhältnisse der Unterschichten - zunächst noch gar nicht ins Auge gefasst. Der Versuch, fortschrittliche englische Vorbilder aufzugreifen, war nicht allzu erfolgreich und auf das erwähnte Cottageviertel beschränkt. Weitab von der Stadt gelegen, war der Baugrund billig, doch die Baukosten gestatteten es den angepeilten Nutzer schichten - mittelständische Beamte, Lehrer, Geschäftsleute, die von der Citybildung getroffen wurden und für die der Ringstraßenbereich unerschwinglich war - keineswegs, diese Wohnmöglichkeiten wahrzunehmen. Sehr bald wurden daher repräsentative Villen oder Mietvillen für diese Gegend charakteristisch, die einer gehobenen Gesellschaftsschicht Vorbehalten waren. Auch im Nahbereich des kaiserlichen Schlosses Schönbrunn entwickelte sich ein vergleichbares Villengebiet. Der Siedlungsbau an sich sollte aber auch später in Wien nie die Bedeutung wie etwa in England erlangen. Das für die Gründerzeit typische Wohnhaus der Außenbezirke wurde jedoch die Zinskaseme. Die große Bauphase der Ringstraße und des Ausbaus der Eisenbahn hatte gewaltige Zuwanderungswellen ungelernter Arbeitskräfte gebracht, für die es keine adäquaten Unterkunftsmöglichkeiten gab. Da sich die Stadtverwaltung nicht zuständig fühlte und die Bauwirtschaft angesichts anderer Aufgaben, einer oft noch überkommenen Struktur und wohl auch aus Kapitalmangel nur langsam reagierte, waren die Auswirkungen verheerend. Es kam zu Überbelegungen der bestehenden Objekte besonders in den Vororten, Massenquartiere entstanden, das Hausen unter unvorstellbaren Bedingungen war alltäglich. Erst allmählich stellte sich die Bauwirtschaft mit einem neuen Gebäudetyp auf diese Situation ein, und so dauerte es bis in die 1890er Jahre, ehe eine Verbesserung der Lage einigermaßen zu beobachten war. Man nützte das von den lokalen Regulierungen vorgegebene Rasterschema, die Baublöcke wurden im Interesse der Rentabilität so dicht wie möglich verbaut; das konnte ein Ausmaß bis zu 85% der Grundfläche erreichen. Die Häuser verfügten in der Regel über ein Parterre, das auch Geschäftslokale aufnehmen konnte, oder ein Hochparterre - in diesem Fall wurde das Souterrain für gewerbliche Zwecke, mitunter aber auch für Wohnzwecke genutzt - sowie drei bis vier weitere Etagen. Ein Stiegenhaus erschloss die Gänge, von denen die Wohnungen direkt zugänglich waren. Als Wohnungstypen gab es Zimmer-Küche- und Zimmer- Küche-Kabinett-Wohnungen. Die Küchen öffneten sich zum Gang, die Zimmer mit zumeist zwei Fensterachsen zur Straße oder - wie die Kabinette - in den Hof. Auf dem Gang befanden sich die WC-Anlagen (ein WC für zwei bis drei Wohnungen) sowie die Wasserentnahmestelle, die „Bassena“ (von italienisch „bacino“ = „Waschbecken“), die dem Haustyp den umgangssprachlichen Namen gab („Bassenahäuser“). Die Höfe waren angesichts der Verbauungsdichte vielfach auf reine Lichthöfe reduziert. Die Mieten für diese Kleinwohnungen waren vergleichsweise hoch, sodass die Mieter häufig

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