Budapest und Wien. Technischer Fortschritt und urbaner Aufschwung im 19. Jahrhundert - Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs 9. - Beiträge zur Stadtgeschichte 7. (Budapest - Wien, 2003)
Ferenc Vadas: Stadtplanung in Budapest im 19. Jahrhundert
20 führten, wurden zu radialen Hauptstraßen. Aus den Feldwegen, die in diese Hauptstraßen mündeten und einst zu Gärten und Einzelhöfen führten, wurde das Straßennetz der Vorstädte entwickelt. Bis zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstanden in Pest zwei Vorstädte, die Obere und die Untere, an den zwei Seiten der ostwestlichen Achse, die die Stadtstruktur schon damals bestimmte. Im Jahr 1777 wurden die Obere, nach Maria Theresia Theresienstadt, und die Untere, nach dem künftigen Kaiser Joseph II., Josefstadt benannt. Später wurden beide geteilt, von der Josefstadt wurde Ferencváros (Franzstadt) und von Theresienstadt die Elisabethstadt abgetrennt; die Stadtteile, die bis heute diese Namen tragen, bilden vier von den fünf Bezirken, die die Innenstadt umgeben. Ihre gemeinsame Besonderheit ist, dass ihr innerer Teil im Laufe der spontanen Stadtentwicklung des 18. Jahrhunderts geformt wurde, und obwohl ihr Vorstadtcharakter längst Vergangenheit ist, zeigt das Straßennetz die Art ihres Entstehens auch heute noch. Der mit der Innenstadt verbundene fünfte Bezirk ist die Leopoldstadt, die charakteristischerweise nicht als Vorstadt, sondern als Neue Stadt bezeichnet wurde. Der Stadtteil am Donauufer nördlich des alten Pest (der der schon lange existierenden Budaer Wasserstadt gegenüber lag) war der erste urbanistisch geplante Teil der Hauptstadt. Der Beginn der bewussten Stadtreguliemng ist mit dem Wirken von Joseph II. verbunden. Er ließ das gewaltige, quadratische Gebäudemonstrum, das Neugebäude genannt wurde - ursprünglich für mehrerlei militärische und zivile Zwecke angelegt, aber letztendlich als Kaserne berühmt geworden -, von der Innenstadt gesehen weit nördlich bauen. Der neue Stadtteil breitete sich am Anfang von der Stadtmauer bis zu diesem Gebäude aus. Bei seinem Entstehen spielte den entscheidenden Faktor die Anlage des neuen Marktplatzes (von der Innenstadt nicht weit nördlich entfernt) 1785; aus diesem Anlass wurde der gesamte Stadtteil entworfen. Seine wichtigste Besonderheit ist das regelmäßige, rechteckige Straßennetz, die Formierung der zum größten Teil oblongen Blöcke. Die im 19. Jahrhundert mechanisch angewandte und deshalb langweilig gewordene Lösung galt damals noch als revolutionär. Es war ein reines, durchschaubares System, das Straßen von guter Proportion und Grundstücke von günstiger Größe und Form ergab. Diese wurden in dem kommenden halben Jahrhundert mit Häusern verbaut, zum größten Teil in klassizistischem und zum kleineren in romantischem Stil. So kam die erste moderne, zur Großstadt passende urbanistische Einheit des Landes zustande. Dank der hier konzentrierten Untemehmerschicht hatte der sich dynamisch entwickelnde neue Stadtteil, die Leopoldstadt, die Innenstadt im Hinblick auf die wirtschaftliche Wichtigkeit überholt, sie wurde zum Zentrum und Symbol des frühen ungarischen Kapitalismus und später zur Budapester „City“.