Budapest und Wien. Technischer Fortschritt und urbaner Aufschwung im 19. Jahrhundert - Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs 9. - Beiträge zur Stadtgeschichte 7. (Budapest - Wien, 2003)
Peter Csendes: Stadt und Technik. Wissenschaftlicher Fortschritt und urbane Entwicklung
10 verwandelte. Die Architektenausbildung wurde der Akademie der bildenden Künste überlassen. Auch der Studienverlauf wurde entsprechend geregelt. 1872 erhielt das Polytechnikum die Bezeichnung k.k. Technische Hochschule, wodurch auch äußerlich eine Angleichung an die Universitäten erreicht wurde. Durch die Einführung von Staatsprüfungen kam es - nicht zuletzt durch standespolitischen Druck — zu einem Studienabschluss, der mit jenem der Juristenausbildung vergleichbar war. Ein weiterer wichtiger Schritt war freilich, die Heranbildung von Arbeitskräften zu betreiben, die verantwortungsvolle Tätigkeiten übernehmen konnten. Diese Aufgabe wurde von den Staatsgewerbeschulen übernommen. Der zunehmenden Bedeutung in Gesellschaft und Alltag, aber auch der allgemeinen Entwicklung im Vereinswesen entsprechend, kam es zu zahlreichen Fach- und Standeszusammenschlüssen. Im Jahr 1848 war der „Österreichische Ingenieur-Verein“ gegründet worden, der 1864 zum „Österreichischen Ingenieur- und Architekten-Verein“ erweitert wurde. 1872 wurde das eigene Vereinshaus eröffnet; damals besaß der Verein bereits 1.700 Mitglieder. Unter dem Aspekt des Standesinteresses kam es zum Zusammenschluss der Ziviltechniker (1868), der Wiener Stadtbauamtsingenieure (1906) oder der Ingenieure des niederösterreichischen Landesdienstes. Der „Österreichische Polytechnische Verein“ erfasste Techniker, die keine akademische Ausbildung absolviert hatten. Das Engagement der Techniker für die Weiterentwicklung ihrer engeren Fachgebiete schlug sich auch in der Gründung zahlreicher Vereine nieder. Rein wissenschaftlichen Zwecken widmeten sich der „Elektrotechnische Verein“ (1883), der „Maschinentechnische Verein“ (1888, später „Allgemeiner technischer Verein“), der „Verein Österreichischer Chemiker“ (1897) oder der „Österreichische Verband für die Materialprüfungen der Technik“ (1907). Die bedeutende wissenschaftliche Weiterentwicklung der Ingenieurwissenschaften wurde jedoch in der Öffentlichkeit kaum als solche wahrgenommen, da man allgemein den handwerklichen, nicht aber den wissenschaftlichen Aspekt im Vordergrund sah. Nun war auch tatsächlich selbst die Tätigkeit der prominenten Architekten von dieser praktischen Seite nicht getrennt - ihre Aktivitäten umfassten die Lehre an der Akademie der bildenden Künste ebenso wie die praktische Zeichenarbeit und die Tätigkeit auf der Baustelle -, was die allgemeine Ansicht verstärkte. So erfolgte auch ihre Akzeptanz im Kreis der Akademie der Wissenschaften nur zögerlich. Die Karrieren der ersten Wiener Stadtbaudirektoren (ab 1835) zeigen diese generelle Entwicklung sehr deutlich. Kajetan Schiefer (1791-1864) war zunächst technischer Zeichner bei der niederösterreichischen Zivil-Baudirection gewesen, war 1827 vom Kaiser taxfrei zum Architekten ernannt worden und in den Dienst der Stadt Wien eingetreten. Sein Nachfolger Rudolf Niemsee (1810- 1879) hatte das Bauhandwerk praktisch erlernt und sich im Privatstudium die Kenntnisse verschafft, um am Polytechnikum eine Generalprüfung ablegen zu können. Über eine Stelle als Brunnenpolier kam er zur Stadt Wien. Hieronymus