Imre Jakabffy (szerk.): Ars Decorativa 6. (Budapest, 1979)

BENKER, Gertrud: Ein volkstümliches Besteck aus Tirol

und Griff weist in ihren Gliederungsele­menten (stark geschwungene Profilierung, Wülste, hufeisenförmiger Zinkenansatz) auf barockes Formempfinden hin; dieses lebte aber bei allen volkstümlichen Gerä­ten bis ins späte 19. Jahrhundert fort (Abb. 2). Bein, also Knochen von Rindern und Schafen war als Material zur Beschalung der Griffe vor allem in Süddeutschland und gesamten Alpenraum gebräuchlich. Bearbeitet wurde es meist von zunftmässig formierten Handwerkern, „Beindrechs­lern", die u. a. auch die geschnitzten und gedrechselten Teile von Bein-Rosenkrän­zen, -Krippen usw. herstellten. 4 Die Gra­vuren erfolgten mit Hilfe eines sehr feinen Grabstichels und wurden dann braun oder schwarz eingefärbt. Bei den zu bespre­chenden Objekten sind die Gravuren durch Benützung weitgehend abgeflacht, so dass sie als Vertiefungen fast nicht mehr zu ertasten sind. Allein die ikonographische Deutung der Darstellungen, die sich auf längsova­len, an den Schmalseiten gerade abge­schnittenen Griff-Flächen finden, ermög­licht eine genauere zeitliche und regionale Zuordnung. Auf einer Gabel (=A) ist das Halbbild der Muttergottes wiedergegeben: ihr Kopf neigt sich ein wenig zu dem Je­suskind auf ihrem rechten Arm; beide Häupter sind durch einen Strahlennimbus zusammengefasst. Die Gewänder der Frau verlieren sich nach unten in einem Wol­kengebilde. Darunter schwingt sich ein aus einer Blattranke wachsendes Spruchband schräg nach oben; es trägt die Inschrift „Maria Hilf". Sowohl diese als auch der Typus der Madonnendarstellung weisen auf die südostbayerische Wallfahrtsstätte Mariahilf bei Passau hin. Sie wurde 1622 auf einer Donauhöhe gegründet durch Aufstellen einer Kopie des Marienbildes von Lucas Cranach (1472—1553). 1627 konnte dieser Stelle eine Kirche errichtet werden, und im Laufe des nächsten Jahr­hunderts entwickelte sich eine weit über die Landesgrenzen hinaus berühmte und vielbesuchte Gnadenstätte. Sowohl von dem Passauer Gnadenbild als auch von seinem Urbild, das den Hochaltar der Innsbrucker Pfarrkirche St. Jakob (Dom) ziert, wurden tausende von kleinen An­dachtsbildern in Kupfer gestochen und durch die Wallfahrer über ganz Europa verbreitet. Zur Wallfahrtbetreuung ge­hörte ja auch die Sorge, dass die geist­lichen Übungen zuhause fruchtbringend fortgesetzt wurden. Daher die zahlreichen Nachbildungen für Gebetbücher und zum Aufhängen sowie auf Dingen des tägli­chen Gebrauchs. Das Anschauen allein, verbunden mit dem als Stossseuzer übli­chen Wort „Maria hilf!" bewinkte schon einen frommen Bezug, eine Art geistiger Kommunion. Wer also dieses Bild einem geliebten Menschen schenkte, übermittelte ihm die schaubare Gegenwart des Gött­lichen. 5 Weist schon das Mariahilf-Motiv auf die beiden Städte Passau und Innsbruck hin, so können wir durch einen Vergleich mit einigen Objekten des Innsbrucker Volkskunstmuseums weitere Rückschlüsse ziehen. Es handelt sich um vier bäuerliche Essbestecke mit Beingriffen, die — wie das Budapester — in schwarzen Lederetuis stecken. Alle fünf Futterale haben auf einer Seite in der Mitte eine Naht und weisen geometrische bzw. florale Muster auf; Rosetten und Rauten sind aufgepresst 3. C: AUF DEM GRIFF MOTIV DES FLAMMENDEN HERZEN ÜBER EINEM KORB A: GNADENBILD „MARIAHILF" AUF DER GABELBESCHALUNG, B : GRIFFGRAVUR: HAUS, TISCH, BRAUT, BAUM

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