O. Gy. Dely szerk.: Vertebrata Hungarica 23. (Budapest, 1989)
Dely, O. Gy. ; Stohl, G.: Phylogenetische Probleme in dem Vipera ursinii-Formenkreis (Serpentes, Viperidae) 9-20. o.
Arten V. ursinii, V. berus, V. ammodytes und V. lebetina eine niedrigere Stufe der Evolution verkörpert als z. B. die durch eine einzige Art vertretene V. ammodytes-Gruppe. Er hat seine Behauptung vor allem damit begründet, dass die für die Colubroidea - d. h. also jene Schlangen, aus welchen auch die Vipern hervorgegangen sind - bezeichnenden, grossen Kopfschilder nur die Arten der berus-Gruppe bewahrt hatten. Wie bekannt, hat WERNER (1899) schon um die Jahrhundertwende aufgrund eines überaus grossen Vergleichsmaterials bewiesen, dass eine Aufteilung der grossen Kopfschilder in kleinere eine evolutive Progression bedeutet. Ahnlicherweise betrachtete auch MÉHELY (1911b) die Aufteilung der Syncipitalschilder als einen evolutiven Fortschritt. Nach SCHWARZ gelten ausserdem auch die kiellosen Schuppen des Kopfes sowie die niedrige Zahl (19-21) der Schuppenreihen (bei KRAMER 1961 i Squamae costales genannt) als Zeichen eines primitiven evolutiven Zustandes. Die von der ammodytes-G ruppe im Laufe der Evolution errungene höhere Stufe wird durch eine grössere Zahl (23-2 5) der Schuppenreihen, die kräftig gekielten Schuppen auf dem ganzen Körper sowie den hornartigen Zapfen auf der Schnauzenspitze bewiesen. Eine evolutive Progression macht sich aber nicht nur hinsichtlich der morphologischen Merkmale bemerkbar, sondern auch auf der zytologischen Ebene. Der diploide Chromosomensatz beträgt in der berus-G ruppe 2 n = 36. Demgegenüber besitzen die höherstehenden Formen, wie z. B. V. aspis, einen diploiden Chromosomensatz 2 n = 42 (SAINT GIRONS 1980). Wird nun die derzeitige geographische Verbreitung der auf verschiedenen Evolutionshöhen stehenden Arten miteinander verglichen, so ergibt sich ein merkwürdiges Bild: das theoretisch wohlbegründet postulierte zentralasiatische Entwicklungszentrum wird zur Zeit nur von einer einzigen Art, und zwar Vipera ursinii (Bonaparte, 1835) bewohnt, von jener Art also, die die primitivsten Merkmale in sich vereinigend die niedrigste Stufe der Evolution in der ganzen Gattung verkörpert. Selbst die Art, V. ursinii wird im erwähnten Gebiet durch die Unterart renardi Christoph, 1861 vertreten. Die sympatrischen Arten der Gattung überdecken das Areal von V. ursinii im asiatischen (und europäischen) Raum nur in seinen Grenzgebieten. So kommen z. B. V. lebetina , k aznakovi , ammodytes und xanthina, letztere auch mit ihrer Unterart raddei im Südwest-asiatischen (kaukasischen) Areal der Art V. ur sinii vor (BANNIKOV et al. 1977). Im zentralasiatischen Raum, im Tadshikistan teilt V. ur sinii ihr Verbreitungsgebiet mit V. lebetina (CHERNOV 1959). In den nördlichen Teilen der südrussischen Steppen sowie in Bessarabien und in fast ganz Mittel-, Süd- und Westeuropa überdeckt sich das Areal von V. ursinii mit dem von V. berus; letztgenannte Art besitzt auf dem eurasiatisehen Kontinent das am meisten ausgebreitete Areal (BANNIKOV et al. 1977). GEOGRAPHISCHE VERBREITUNG Auch jene Art, und zwar Vipera ursinii, die mit einer ihrer Unterarten noch heutzutage das zentralasiatische Entwicklungszentrum bewohnt, war in der geologischen Vergangenheit in weitentfernte Gebiete eingedrungen. Wie heute allgemein angenommen wird, erfolgte diese Ausbreitung des Formenkreises im Quartär. Mit dieser Ausbreitung wird die in vieler Hinsicht wenigstens zur Zeit schwer erklärbare rezente geographische Verbreitung der Art in Zusammenhang gebracht. Von den Ostkarpaten an bewohnt die Art ein zusammenhängende c Areal, das ostwärts bis zu dem Altai- und Ala-Tau Gebirge reicht. Nach dem Norden wird dieses kontinuierliche Areal durch die Südgrenze der Sibirischen Tiefebene, die südlichen Ausläufer des Ural-Gebirges sowie die \ordgrenzedes südrussischen Steppengebietes begrenzt (KRAMER 1961, BRUNO 1967a, b, GASC 1968, BANNIKOV et al. 1977, SAINT GIRONS 1978, 1980, VANCEA et al. 1985). Südlich und westlich vom Gebirgszug der Ostkarpaten, der die europäische Grenze des zusammenhängenden Areals des Formenkreises bildet, bewohnt sie Europa nur in isolierten Beständen. Ihre Verbreitung umfasst in Südfrankreich die Basses Alpes, in Italien die Abruzzen, auf der Balkan-Halbinsel grössere Gebiete in deren westlicher Hälfte, die DonauTiefebene in Niederösterreich, einige Stellen in Transdanubien, das Donau-Theiss-Zwischenstromland, in Transsylvanien Cluj: Finatele (= Kolozsvár: Szénafüvek), Dobrudscha und einige Punkte von Bulgarien. Vieles spricht dafür, dass die tiefgreifenden anthropogenen Einwirkungen unserer Zeiten auf die natürlichen Biotopen der Art das Weiterleben dieser Vipern