Buza Péter - Gadányi György: Kopf Hoch! - Unser Budapest (Budapest, 1998)

VIII., Népszínház ütca 27 Kuppeln und Türme sind - besonders wenn von den Bür­gerhäusern die Rede ist - ein bis eineinhalb Jahrzehnte vor und nach der Jahrhundertwende eine alles hinwegfegende Mode. Ohne sie hätten vor allem die Eckhäuser in den Au­gen von Architekten und Auftraggebern seltsam unvollen­det gewirkt. In diesem Sinne - und gerade deshalb - sollten wir nicht im geringsten annehmen, daß solcherart geschmückte Ge­bäude etwa nur anspruchsvolle Bauten waren. Es konnte sich dabei um das gewöhnlichste Mietshaus handeln, wo von den Wohnungen wie von den Mietern zwölf aufs Dut­zend gingen. Wie hier in dem Außenbezirk der Joseph­stadt (Józsefváros): Das Haus wurde 1898 von Ernő Por­zsolt entworfen. Auftraggeber und Besitzer war die Familie Grauer, genauer Dr. Vilmos Grauer und seine Ehefrau Irén, geborene Herzman. Die Essig-, Likör- und Spirituosenfabrik des Miksa Grau­er lag auf der Rákóczi út, also ganz in der Nähe, und pro­sperierte schon seit Jahrzehnten ausgezeichnet. Zu der Zeit leitete sie bereits sein Sohn Vilmos, eine Autorität auf dem Gebiet dieses immer blühenden Pester Industriezwei­ges. Von ihm ist zum Beispiel bekannt, daß er gerade da­mals auch Vorsitzender des Industrieverbandes der Buda- pester Spirituosen- und Likörfabrikanten, Schankwirte und Hersteller war sowie - wie sein Vater - eine führende Per­sönlichkeit der Budapester Jüdischen Gemeinde. Das Haus ist nur eines von denen, in die ein bedeuten­der Teil des Vermögens verbaut worden war. Es handelt sich hier um ein einfaches Mietshaus, der Besitzer wohnte nie hier. Doch gibt es einen auffallend individuellen Zug, und das sind nicht die schön geformten Kuppeln in klassizi­stischem Stil, welche das doppelte Eckhaus an beiden Ek- ken abschließen, sondern die eigenartige Lösung beim Auf­bau der Hauptfassade. Der Architekt verlegte den Gang, der sich gewöhnlich auf der Hofseite befindet und ver­schämt vom Haus verdeckt wird, an die Straßenfront. Es handelt sich dabei natürlich nicht um einen regelrechten Umgang, sondern er kann mit etwas gutem Willen auch als Balkon angesehen werden, der in Höhe der Etagen in der ganzen Breite der Front verläuft. Bezeichnen wir ihn als solchen. 30

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