Bodor Ferenc: Die Pressos der Stadt - Unser Budapest (Budapest, 1992)

Rozmaring (Rosmarin) Einst standen in der ehemaligen Stalin-Ungarische Jugend- Volksrepublik Straße zwei Pressos einander gegenüber: das Brazil und das Rozmaring. Ganz wie Stan und Pan, Krethi und Plethi, Schmidt und Strauß, FTC und MTK*. ln diesen beiden Pressos hielten die Fußballfans ihre Versammlungen ab, zumal der Fußballbund — diese Ruhestätte vieler Kader — ** in der Nähe lag. Als vom linken Fuß von Öcsi Puskás der Ball in geschnittenem Bogen in die obere linke Torecke der Stasimannschaft flog, zischten, jaulten und jammerten die bestiefeiten, erbosten Genossen in ihren Ledermänteln. Zur Zeit der Volksherrschaft wurden die Karten für die Matchs der Auswahlmannschaften in den Fabriken und Betrieben unter den Stachanovisten verteilt. Die übriggebliebenen Karten fan­den in der Kartenbörse des Pressos ihre Käufer, außerdem konnte man hier auch Tototips bekommen. Heute gibt es keine Kartenbörse mehr und der Fußball begei­stert die Wenigsten. Das Brazil wurde trotz aller Proteste in eine französische Bierstube verwandelt, obwohl man darin ja so wunderbar Lambada tanzen könnte. Das Rosmaring blüht noch an seiner alten Stelle, nunmehr aber ohne Fußball­rausch. Aus den klassischen Zeiten ist nur noch die Neonauf­schrift geblieben. VI., ANDRÁSSY ÜT 46. * Das sind zwei Budapester Fußballklubs, dessen Anhänger sich gegenseitig seit etwa hundert Jahren leidenschaftlich hassen. ** Der Fußballbund war eine Dachorganisation der Fußballspieler und der »Fußballangelegenheiten«. Viele fragwürdige Elemente aktiver Parteitätigkeit landeten mit verhältnismäßig großen Gehältern hier, falls sie jene gewisse »Leiter« einmal rückwärts hinunterstürzen mußten. 28

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