Radek Tünde - Szilágyi-Kósa Anikó (szerk.): Wandel durch Migration - A Veszprém Megyei Levéltár kiadványai 39. (Veszprém, 2016)
1. Landschafts- und Gemeinschaftswandel als Folge von Migration - Krauss, Karl Peter: Migration und Modernisierung. Sozioökonomische Prozesse und Kulturlandschaftswandel in Transdanubien im 18. Jahrhundert
Krauss, Karl-Peter Migration und Modernisierung 29 Die Ansiedlung in Ungarn war auch im familiären Umfeld mit erheblichen Brüchen verbunden. In den meisten deutschen Ansiedlungsorten gab es nach der Ansiedlung eine demographische Krise, die oft Monate oder Jahre andauerte und von einem deutlichen Sterbeüberschuss gekennzeichnet war (Krauss 2014: 167-217). Dadurch gab es auch viele Witwen und Witwer, was dazu führte, dass viele Hochzeiten zwischen verwitweten Partnern geschlossen wurden. Damit entstanden wiederum viele, teilweise recht komplexe Patchworkfamilien. Aber auch bei der Heirat unter Ledigen kam es zu einer Anpassung an das Heiratsverhalten in Ungam. Denn schon wenige Jahre nach der Ansiedlung sank das Heiratsalter der Kolonisten augenfällig.49 Die Kolonisten bemerkten dieses Phänomen der früheren Erstheirat selbst. So stand in einem am 14. Februar 1788 verfassten Brief aus Oroszló im Komitat Branau an die Verwandten in Münchweiler:5" „Aber meine liebe Freünde, in Ongerlanth51 heirath man wen eins 14 oder 15 Jar alt ist“,52 d. h. nicht so spät wie in den deutschen Herkunfst- gebieten. 7 Zusammenfassung Eine Darstellung der Migration nach Ungarn muss ohne Einbettung in die sozioökonomischen Zusammenhänge unvollkommen bleiben. Denn erst die europäische Agrarkonjunktur schuf neben anderen Faktoren wie zum Beispiel die dünne Besiedlung die Voraussetzungen für eine forcierte Ansiedlung von Kolonisten. Den ideengeschichtlichen und politischen Rahmen bilden dabei zentrale Anliegen im Zeitalter der Aufklärung: Das Ziel der Bevölkerungsvermehrung, der verstärkte administrative Zugriff, Sozialdisziplinierung, Raumpla49 Auf das Phänomen unterschiedlicher Heiratsmuster in Europa (European Marriage Pattern) wies erstmals Johan Hajnal hin. Er stellte fest, dass westlich einer Linie von St. Petersburg bis Triest sowohl das durchschnittliche Erstheiratsalter höher lag (in der Regel bei Frauen höher als 24, bei Männern höher als 26 Jahren) als auch der Anteil lebenslang lediger Personen relativ hoch (bei über zehn Prozent) lag. Östlich dieser Linie sank das Erstheiratsalter auf unter 22 Jahren bei Frauen und unter 24 Jahren bei Männern, während der Anteil der lebenslang ledigen Personen unter fünf Prozent der Bevölkerung blieb. Ursachen für diese differierenden Heiratsmuster sind in unterschiedlichen Sozialstrukturen zu suchen (Hajnal 1965: 101—145). Auch Häberlein (1993: 147) verweist auf das gesunkene Heiratsalter bei Auswanderern in Pennsylvania und führt weitere diesbezügliche Studien an. Zu ähnlichen Ergebnissen des deutlich gesunkenen Heiratsalters deutscher Kolonisten kam Dmytro Myeshkov bei den Schwarzmeerdeutschen (Myeshkov 2008: 178—179). 50 Der Ort heißt (auch) offiziell seit 1885 Glan-Münchweiler, heute Landkreis Kusel, Rheinland-Pfalz. 51 Ungarland, Ungarn. 52 Landesarchiv Speyer (LASp), F 29, Ausfautei Waldmohr, Nr. 16 II, o. fol.