Internationales Kulturhistorisches Symposion Mogersdorf 2007 in Kőszeg 3. bis 6. Juli 2007 (Szombathely, 2014)

Tibor Hajdu: Alte und neue Eliten in Ungarn in der Zwischenkriegszeit

der ungarischen Innenpolitik herausgedrängt wurde obwohl diese Gruppe gehörte auch zu der herrschende Elite der ungarischen Gesellschaft (welche sonst fast aus­schließlich in den ungarischen Regierungen präsent war und auch in den beiden Häusern des Parlaments sowie unter den führenden Ministerialbeamten, Ober­gespanen usw. die Mehrheit stellte.) Als Aristokraten und Großgrundbesitzer blei­ben diese Personen Mitglieder der wirtschaftlichen und adeligen Elite, Mitglieder der neuen ungarischen politischen Elite können sie nicht werden. Ein nicht we­niger gewichtiges Problem ist, daß die Elite der nicht-ungarischen Nationalitäten, die nahezu die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, nicht in die obigen Elite-Posi­tionen gelangt. Früher, als eine Person mit slowakischer oder rumänischer Mutter­sprache einen Großgrundbesitz erwarb, wurde er mehr oder weniger automatisch Mitglied der ungarischen Adelselite. Nach 1867 war dies nur dann der Fall, wenn er sich der damaligen ungarischen politischen Auffassung anpaßte und sich selbst als Mitglied der „ungarischen politischen Nation” betrachtete. Dies strebten die Betroffenen selbst aber immer seltener an.7 In Kroatien gab es eine alte aristokrati­sche und militärische Führungsschicht, innerhalb der es aber spätestens nach 1848 eine Spaltung entstand dementsprechend, ob sie bereit war, oder nicht sich an die ungarische Elite zu binden.8 Die widersprüchliche Situation offenbart sich deutlich im Oberhaus des Par­laments. Es handelt sich bei diesem um ein überaus vornehmes Gremium, obwohl es formell in der Politik nur eine geringe Rolle spielt, in der Praxis gar keine. Es ist uns kein einziger Fall bekannt, in dem eine Stellungnahme des Oberhauses eine politische Frage entschieden hätte. Ein weiteres Problem bedeutet die Bestimmung der Position der Eliten in In­dustrie, Handel und Finanzwesen, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun­derts sehr schnell entwickelten. Diese hatten selbstverständlich Einfluß auf die Politik, nahmen aber unmittelbar kaum daran Teil. Ein Grund hierfür war, daß sie sich größtenteils aus Juden oder Deutschen zusammensetzten und daher vor dem Hintergrund der nationalistischen öffentlichen Stimmung nur schwer zu einem Abgeordnetenmandat gekommen wären. Aber selbst die ungarischen Kapitalisten standen nicht im Vordergrund der Politik. Es signalisiert eine gewisse Veränderung der Situation, als 1892 mit Sándor Wekerle erstmals ein nicht in Elite geborener und noch dazu deutschstämmiger Beamter Ministerpräsident wurde. Es gehört zur Wahrheit, daß sein Vater Verwal­ter eines Grafen und Großgrundbesitzers war, er selbst als Beamter des Finanzmi­nisteriums in eine vornehme adelige Familie einheiratete und einen Grundbesitz von 1.000 Katastraljoch erwarb. Dennoch strebte er keinen Adelstitel an, sondern wurde zum Wegbereiter der damals modernen, bürgerlich-liberalen Weltan­schauung. Die politisch führende Rolle der Aristokratie zogen allerdings weder er, 7

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