Gertrude Enderle-Burcel, Dieter Stiefel, Alice Teichova (Hrsg.): Sonderband 9. „Zarte Bande” – Österreich und die europäischen planwirtschaftlichen Länder / „Delicate Relationships” – Austria and Europe’s Planned Economies (2006)

Andrea Komlosy: Österreichs Brückenfunktion und die Durchlässigkeit des „Eisernen Vorhangs“

sowjetischen Besatzungswirtschaft aufgebaut hatte, neue Aufgabengebiete. Österreichische Firmen konnten im expandierenden West-Ost-Geschäft häufig eine Drehscheibenrolle einnehmen, die sowohl an Geschäftskontakte aus dem post­habsburgischen Integrationsraum der Zwischenkriegszeit als auch an die neuen Beziehungen anknüpfte, die - in vielen Fällen mit Hilfe von Wirtschafts- Unternehmungen der Kommunistischen Partei Österreichs - im RGW aufgebaut wurden. Es galt, die unterschiedliche Betriebsführung und Mentalität markt- und planwirtschaftlicher Wirtschaftsbetriebe bei der Anbahnung und Durchführung von Außenhandelsgeschäften in Einklang zu bringen. Der Kontakt von Westfirmen mit der realsozialistischen Wirtschaftsbürokratie, der Umgang mit Außenhandels­monopol, staatssozialistischem Zahlungsverkehr, Kapital- und Warenverkehrs­kontrollen erforderte ein spezifisches Know-how, das österreichische Osthandelsfirmen als Wirtschaftsdienstleistung anbieten konnten.63 Neutralität und geringes ökonomisches Eigengewicht ließen Österreich für die Länder der „Zweiten“ - also „realsozialistischen“ - und die Länder der „Dritten Welt“ zudem oft als einen Partner erscheinen, der den dominierenden Industrienationen vorgezogen wurde - was den Handlungsspielraum der Alpen- und Donaurepublik sowohl in außenwirtschaftlicher als auch in außenpolitischer Hinsicht vergrößerte. Konjunkturen der österreichischen Ostkontakte Grundsätzlich standen Österreich in politischer Hinsicht bilaterale und multilaterale Instrumente (hauptsächlich im Rahmen der UNO) zur Verfügung; in wirtschaftlicher Hinsicht ging es sowohl um die Dienstleistungsfunktion als Drehscheibe im internationalen Ost-West-Handel als auch die Umsetzung der eigenen österreichischen außenwirtschaftlichen Interessen. Dabei stellte die Überwindung der Barrieren, die sich aus der Existenz des „Eisernen Vorhangs“ für Waren- und Personenverkehr ergaben, den zentralen Ansatzpunkt für die österreichischen Bemühungen dar. Der effektive Handlungsspielraum hing davon ab, welches Ausmaß an Kontakt und Durchlässigkeit gewünscht war. Österreichs BrUckenfunktion und die Durchlässigkeit des „Eisernen Vorhangs“ Die ersten Jahre nach dem Abschluss des Staatsvertrags waren vom Kalten Krieg geprägt. West und Ost gingen weitgehend getrennte Wege, die wirtschaftlichen Kontakte befanden sich auf dem Tiefpunkt, sodass wenig Bedarf an Vermittlung bestand. Nichtsdestotrotz war Österreich ein Kommunikationszentrum im Ost- West-Kontakt. So war Wien Anlaufpunkt für ungarische Flüchtlinge. Der Flüchtlingsstrom setzte ein, als im Frühjahr 1956 der Draht- und Minengürtel an der österreichisch-ungarischen Grenze abgebaut wurde, und er vergrößerte sich nach der Niederschlagung des Aufstands im November 1956. Insgesamt kamen 63 Ster mann, Walter: Die Funktion des Außenhandels in sozialistischen und kapitalistischen Ländern am Beispiel des Ost-West-Handels (= WllW-Forschungsbericht Nr. 74). Wien 1982, S. 29. 89

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