Gertrude Enderle-Burcel, Dieter Stiefel, Alice Teichova (Hrsg.): Sonderband 9. „Zarte Bande” – Österreich und die europäischen planwirtschaftlichen Länder / „Delicate Relationships” – Austria and Europe’s Planned Economies (2006)

Christoph Boyer: Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Österreich und der Sowjetischen Besatzungszone in Deutschland (SBZ) bzw. der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) (1945-1989/90)

Christoph Boyer Bereitschaft, die Handelsbeziehungen mit den Ländern des Ostblocks zu verbessern (der Wille zur Kooperation auf dem Feld der Kultur war wegen der Furcht vor „kommunistischer Infiltration“ weniger ausgeprägt). Auf der 1956 von der Bundeskammer für gewerbliche Wirtschaft einberufenen Osteuropäischen Konferenz wurde der Wille des Handelsministeriums, aber auch der österreichischen Unternehmer zu einer Verbesserung und Ausweitung der Beziehungen mit Ostmittel- und Osteuropa offensichtlich. Handelsabkommen waren bis dahin mit fast allen sozialistischen Ländern abgeschlossen worden; die Austauschbeziehungen intensivierten sich nun auch dort, wo - wie im Fall der DDR - das vereinbarte Volumen weit davon entfernt war, ausgeschöpft zu werden. Als dann in der Folge des Staats Vertrags die USIA-Betriebe an Österreich zurückgegeben wurden, erklärte auch die Sowjetunion, im Interesse einer Ankurbelung des bilateralen Handels ihre Bereitschaft, die Entschädigungssumme - 150 Millionen Dollar - in Sachwerten entgegenzunehmen. Dass das sowjetische Angebot einer Anleihe zu überaus vorteilhaften Konditionen nicht angenommen wurde, aus Furcht, die östliche Hegemonialmacht werde auf diese Weise die Wirtschaft der Republik unter ihren Einfluss zu bringen versuchen, war ein Anzeichen für die Grenzen der österreichischen Neigungen in Richtung Osten. Standen vor diesem Hintergrund die Beziehungen zur DDR ganz allgemein unter günstigen Vorzeichen, entwickelten sie sich auch gut in Randzonen wie etwa dem Sport, so zögerte Österreich doch nach wie vor mit dem Abschluss eines zwischenstaatlichen Wirtschaftsabkommens; Kontakte auf der Ministerialebene wurden vermieden. Auf der Wiener Herbstmesse 1956 war es der DDR verwehrt, sich als „Deutsche Demokratische Republik“ zu präsentieren; konzediert wurde lediglich der Auftritt als „Außenhandelskammer der DDR“. Zu denken gab auch, dass Bundeskanzler Julius Raab und Außenminister Leopold Figl, anders als im vorangegangenen Jahr, dem ostdeutschen Messestand keinen Besuch abstatteten. Nicht zu Unrecht sahen die ostdeutschen Vertreter hier den Alleinvertretungs­anspruch der Bundesrepublik am Werk. Die Handelsvertragsverhandlungen für das Jahr 1957 kamen über die Kammerebene nicht hinaus; sie fassten zudem eine weitere Absenkung des Güteraustausches ins Auge. Das bilaterale Kreditabkommen setzte einen Zinssatz von 5,5 Prozent für österreichische und von 0,75 Prozent für DDR-Kredite fest. Dieser von der ostdeutschen Seite als Diskriminierung empfundene Unterschied konnte erst nach langwierigen Verhandlungen durch einen einheitlichen Zinssatz von 5,5 Prozent beseitigt werden. Auch die Einrichtung offizieller Handelsmissionen beider Staaten in Berlin bzw. Wien blieb ein Desiderat. Die österreichischen Reaktionen auf den „konterrevolutionären“ Putsch in Ungarn und auf die Suezkrise waren in den Augen der ostdeutschen Entscheidungsträger dann ein klarer Beweis dafür, dass die Neutralität lediglich 170

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