Gertrude Enderle-Burcel, Dieter Stiefel, Alice Teichova (Hrsg.): Sonderband 9. „Zarte Bande” – Österreich und die europäischen planwirtschaftlichen Länder / „Delicate Relationships” – Austria and Europe’s Planned Economies (2006)

Dieter Stiefel: „Zarte Bande“ Österreich und die planwirtschaftlichen Länder

Dieter Stiefel BNP insgesamt - in Mio. Geary-Khamis Dollar 1988 Österreich = 100 Bulgarien 56 903 48 Jugoslawien 141 983 119 Rumänien 93 020 78 USA 5 286 606 4 415 UdSSR 2 007 280 1 677 Quelle: M addi son : Monitoring the World Economy, S. 180 ff., DDR S. 132 Die Bevölkerungszahl der „osteuropäischen“ Länder ist 54-mal so hoch (1992) wie die Österreichs. Das BNP dieser Region entspricht 25-mal dem von Österreich (1988), das der BRD 9-mal und das der USA 44-mal. Die Frage ist daher, welchen Sinn es macht, die Entwicklung aus österreichischer Sicht zu betrachten und nicht aus jener der BRD oder vor allem den USA? Die Antwort hierfür liegt im Wirtschaftlichen und im Politischen. Einmal handelt es sich - mit Ausnahme der UdSSR - um kleine und mittlere Länder, die von ihrer Größenordnung und den damit verbundenen wirtschaftspolitischen Möglichkeiten prinzipiell durchaus vergleichbar sind. Zum anderen spielt die geographische Nähe eine nicht wegzu­leugnende Rolle, auch wirtschaftliche Tätigkeit ist letztlich raumgebunden, ln drei Fällen handelt es sich um Nachbarländer Österreichs und auch die anderen Länder - mit Ausnahme der DDR und Bulgariens - umfassen Gebiete, die einstmals Teil der österreichisch-ungarischen Monarchie gewesen waren. Diese Region stellte über lange Zeit den eigentlichen „Heimatmarkt“ der österreichischen Wirtschaft dar und trotz aller Vernichtung, Zerstörung, Vertreibung und politischer Behinderung blieben diese traditionellen und kulturellen Verbindungen auch nach 1945 teilweise aufrecht. Das zeigt sich nicht nur, wenn auch am deutlichsten am Außenhandel: der österreichische Osthandel war höher als in so gut wie allen anderen marktwirt­schaftlichen Ländern. Schließlich spielte auch die wirtschaftspolitische Nähe eine Rolle. Bevor diese Länder mehr oder weniger nach sowjetischem Vorbild zur Planwirtschaft übergingen gab es nach 1945 eine Phase, wo sie einen „Dritten Weg“, den einer sozialistischen Marktwirtschaft suchten. Diesen Weg ist Österreich in gewisser Beziehung gegangen. Die Verstaatlichung eines wesentlichsten Teils der Industrie und der großen Banken zusammen mit der Sozialpartnerschaft führten dazu, dass auch in Österreich wichtige wirtschaftliche Entscheidungen häufig auf politischer Ebene gefasst wurden. Das entsprach - wenn auch unter gänzlich anderen strukturellen Bedingungen - dem Konzept der Planwirtschaft. Dementsprechend gab es eine durchaus gute Gesprächsbasis zwischen den Regierungen und Wirtschaftsministerien, die der wirtschaftlichen Zusammenarbeit forderlich war. Österreich hatte auch wenige Berührungsängste zu den kommunis­tischen Ländern und hatte schon sehr frühzeitig die DDR anerkannt. Vor allem aber macht es einen Sinn, die wirtschaftliche Entwicklung des gesamten Mittel-, Ost- und Südosteuropäischen Raumes - trotz oder gerade wegen der Systemunterschiede 22

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