Gertrude Enderle-Burcel, Dieter Stiefel, Alice Teichova (Hrsg.): Sonderband 9. „Zarte Bande” – Österreich und die europäischen planwirtschaftlichen Länder / „Delicate Relationships” – Austria and Europe’s Planned Economies (2006)

Dieter Stiefel: „Zarte Bande“ Österreich und die planwirtschaftlichen Länder

„ZARTE BANDE“ Österreich und die planwirtschaftlichen Länder Dieter Stiefel 1. Problemstellung Das 20. Jahrhundert war in Europa durch eine massive politische Beeinflussung der wirtschaftlichen Tätigkeit gekennzeichnet. Die beiden Weltkriege und die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre konnten als Ausdruck des Versagens des marktwirtschaftlich, liberalen Kapitalismus gesehen werden und öffneten damit die Türen zur Realisierung alternativer gesellschaftspolitischer Ideologien. Zuerst führte der Nationalismus 1918 zur Desintegration der österreichisch-ungarischen Monarchie und zur Auflösung des Osmanischen Reiches und erhöhte damit die Zahl der europäischen (Klein)Staaten; dann versuchte das Deutsche Reich ab 1938 mit militärischen Mitteln europaweit einen Kapitalismus unter autoritären Vorzeichen durchzusetzen und schließlich setzte nach 1945 ein Teil der europäischen Länder das System der kommunistischen Planwirtschaft durch. Das „System der natürlichen Freiheit“ nach Adam Smith, das die Marktwirtschaft darstellen sollte, wurde von einem Gegensatz zwischen Politik und Wirtschaft abgelöst. Aus wirtschaftlicher Sicht waren diese politischen Einflüsse kontraproduktiv. Doch die Wirtschaft versuchte sich anzupassen und die politischen Vorgaben betriebswirtschaftlich umzusetzen. Und um diese Anpassungsmechanismen geht es hier. Das Thema wird dabei regional eingeschränkt. Im Blickpunkt ist vor allem - und ohne jede Nostalgie - der wirtschaftliche Einflussbereich der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie, für den es keinen besseren Begriff als „Mittel-, Ost- und Südosteuropa“ gibt. Denn man kann davon ausgehen, dass es trotz aller politischen Hindernisse große Bemühungen gab, die Wirtschafts­beziehungen in diesem Raum zumindest partiell aufrecht zu erhalten. Zum Zweiten betrachten wir die Zeit der Systemkonkurrenz zwischen „Ost und West“, also von etwa 1947/8 bis 1988. Natürlich fand die russische Revolution schon 1917 statt und die ersten sowjetischen Vierjahrespläne begannen in den 1920er Jahren. Doch betraf dies — bis zum Sieg der Roten Armee 1945 und der Ausdehnung des sowjetischen Einflussbereiches - die europäischen Länder nur marginal. Ab 1948 aber war Europa wirtschaftlich und gesellschaftlich durch einen „Eisernen Vorhang“ geteilt und vor allem die Länder an beiden Seiten der Grenze hatten sich mit diesen neuen Bedingungen zu arrangieren. Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs/Sonderband 9 13

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