Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)

Die „Friedensverhandlungen“ zwischen China und den Mächten - Verlauf, Abschluss und Unmittelbare Folgen

Die „Friedensverhandlungen“ zwischen China und den Mächten ... Russland hatte 1898 die Verpachtung der Liaodong-Halbinsel erzwungen und hatte mit Port Arthur [Lüshun] und Dal’nij [Dalian] die strategisch wichtigen Positionen an der Nordseite der Bohai-Straße. Gleichzeitig konzentrierte sich die Regierung in London wesentlich stärker auf den Krieg in Südafrika, der zunehmend eskalierte So erscheint es kaum verwunderlich, wenn der k. u. k. Botschafter in London, Deym, meinte, die Regierung in London wäre von einem Separatabkommen zwischen Russland und China „sehr peinlich berührt [...], [ließe] es sich aber gefallen“.* 1956 1957 Diesen Eindruck konnte der k. u. k. Botschafter in St. Petersburg nach seinen Unterredungen mit Sir Charles Scott nicht bestätigen. Sir Charles Scott war sehr gereizt, da er durch die lange Abwesenheit des russischen Außenministers nichts ausrichten konnte.1958 Die seit Oktober 1900 amtierende Regierung Itö Hirobumi beobachtete die Entwicklung in China zwar mit größter Aufmerksamkeit, unternahm jedoch im Gegensatz zu Russland keine offenen Versuche, den eigenen Einfluss zu verstärken. Die chinesische Frage wird nicht mit Gleichgiltigkeit aber auch nicht mit jener Nervosität behandelt, welche in diesen Fragen die meisten europäischen Cabinete an den Tag zu legen pflegen. Mit Aufmerksamkeit und besonnener Ruhe wird jede Phase des chinesischen Trauerspiels studirt und mit der größten Reserve behandelt. Der Japaner, obwohl lebhaft von Natur, empfangt die gewaltigsten Ereignisse mit einer stoischen Ruhe. Er läßt die Ereignisse an sich langsam herantreten und überläßt zumeist der Zeit die weitere Entwickelung oder die Sanierung derselben. Die heterogensten Anwürfe, welche betreffs China gemacht werden, nimmt er mit Lächeln zur Kenntniß und nachdem er dieselben einer scharfen Kritik unterzogen hatte, beantwortet er diese europo-amerikanischen Propositionen oft in einem von spöttischen Bemerkungen nicht freiem Tone.1959 Erst Meldungen über ein Separat-Abkommen zwischen Russland und China verursachten in Tökyö größere Aufregung. Für die japanische Regierung stellte dieses Abkommen einen klaren Widerspruch zur Open Door Policy, auf die sich Großbritannien, Deutschland, Russland, Frankreich, Italien und Japan auf Initiative der USA1960 geeinigt hatten: 1900-1918. Bd. 1: Faktoren der Expansion, Veröffentlichungen des Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Instituts XII, Wien/Köln/Graz 1984, S. 54. 1956 Graf Witte, der russische Finanz-Minister, hatte auf eine verstärkte wirtschaftliche Expansion in Ostasien gedrängt, fürchtete aber ebenso wie Rriegsminister Kuropatkin die Reaktion Japans auf dieses Vorgehen. Zur russischen Asienpolitik: Andrew Malozemoff, Russian Far Eastern Policy 1881-1904. With special emphasis on the causes of the Russo-Japanese War, Russian and East European Studies 5, Berkeley 1958. 1957 HHStA, P.A. XXIX/23, fol. 18', Deym an MdÄ, Telegramm No. 2 (7718, Chiffre), London, 5.1.1901. 1958 Ebenda, fol. 27', Aehrenthal an Gofuchowski, No. 1 F (Vertraulich), St. Petersburg, 5.1.1901/ 23.12.1900. 1959 HHStA, P.A. XXIX/23, fol. 151v-153r, Grubissich an Gofuchowski, Bericht No. 1, Tokio, 19.1.1901. 1960 J eder dieser Staaten beanspruchte eine Konzession, ein Pachtgebiet oder ähnliches in China. 505

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