Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)

Die „Friedensverhandlungen“ zwischen China und den Mächten - Verlauf, Abschluss und Unmittelbare Folgen

Georg Lehner - Monika Lehner In Beijing konnte wenig getan werden, um Russland zu einem Einlenken zu bewegen, doch die Diplomatie in Europa arbeitete fieberhaft. Der deutsche Reichskanzler Bernhard Graf Bülow hatte an den russischen Botschafter Graf Osten-Sacken appelliert, bei seiner Regierung mit grösstmöglichstem Nachdrucke dahin zu wirken, dass auch russischerseits alles aufgeboten werde, damit das Einvernehmen der Mächte aufrecht erhalten werde; es läge Deutschland, gewiss ebenso wie Russland, sehr am Herzen, dass die Friedensaktion in China zu einem möglichst baldigen und befriedigenden Ende geführt werde.1952 Deutschland fürchtete, trotz des deutschen Oberkommandos in China in die zweite Reihe gedrängt zu werden, denn während Russland möglichst schnell Frieden schließen wollte, glaubte Deutschland, auf Sühne für die durch die Ermordung des Gesandten erlittene Beleidigung bestehen zu müssen.1953 Tatsächlich drohte die deutsche Regierung durch die unterschiedlichen Interessen in ihrer Handlungsfreiheit stark eingeschränkt zu werden: jede Annäherung an Russland konnte das Einvernehmen mit Großbritannien gefährden - und umgekehrt. Die russische Seite kritisierte immer wieder das Auftreten Deutschlands gegenüber China, das zu zusätzlichen Spannungen führe und dessen Ursache mangelnde Erfahrung im Umgang mit „[ojrientalischen Völkerschaften“ sei. Der russische Botschafter in Berlin, Graf Osten-Sacken hob immer wieder hervor, wie es wichtig sei, bei Umgang mit den Orientalischen Völkerschaften auf deren Eigenart Rücksicht zu nehmen - eine Regel, welche Deutschland, wohl auch vielfach aus Unkenntnis des Wesens der orientalischen Völker, zum beiderseitigen Schaden nicht genügend beherzige. - Hierin sollte die deutsche Regierung mehr auf den Rath und das Beispiel Russland’s hören, welches durch den langjährigen engen Verkehr mit den Orientalen mehr als irgendwer Gelegenheit gehabt hatte, nützliche Erfahrungen auf diesem Gebiete zu sammeln.1954 Doch innerhalb der deutschen Regierung dachte man nicht daran, irgendjemanden um Rat zu fragen, man versuchte vielmehr, die Meinungen der anderen europäischen Regierungen einzuholen. Die permanente Fühlungnahme ist eines der Kennzeichen der europäischen Politik in der Zeit der Krise in Ostasien. China war für die Verbündeten - von Russland und Japan abgesehen - im wahrsten Sinn des Wortes „weit weg“. Für Russland hatte die Yihetuan-Bewegung eine Möglichkeit eröffnet, tiefer1955 in die Mandschurei einzudringen und seinen Einfluss in Ostasien zu verstärken.1956 HHStA, P.A. XXIX/23, fol. 6', Szôgyény an Gotuchowski, Bericht No. 1 E (vertraulich), Berlin, 2.1.1901. Ebenda, fol. 6r, Szôgyény an Gotuchowski, Bericht No. 1 E (vertraulich), Berlin, 2.1.1901. Ebenda, fol. 99M00', Szôgyény an MdÄ, Bericht No. 3 C (vertraulich), Berlin, 16.1.1901. Die Transsibirische Eisenbahn, deren Bau 1891 von Celjabinsk und Vladivostok aus begonnen wurde, führte zwischen Cita und Vladivostok durch die Mandschurei und wurde von russischen Polizeikräften bewacht. Durch diese Linie war die Provinz Heilongjiang (heute das Gebiet der Provinz Heilongjiang und der nördliche Teil von Nei Menggu Zizhiqu [Autonomes Gebiet Innere Mongolei]) abgetrennt und wurde von Russland als Einflusssphäre betrachtet. Plaschka vergleicht die Bedeutung dieses Gebietes für Russland mit derjenigen der Suezkanal-Zone für Großbritannien. Cf. Richard Georg Plaschka, Matrosen - Offiziere - Rebellen. Krisenkonffontationen zur See 504

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