Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)
Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel Österreichischer Berichte aus China
Georg Lehner - Monika Lehner im eigenen Namen abzusenden hatte, war der Ansicht „der Maske der Freundschaft nicht zu bedürfen“ und stellte gegenüber dem Zongli Yamen lediglich fest: En prenant acte de votre communication, je crois devoir vous faire remarquer que, dans mon opinion, le Gouvernement de Sa Majesté lmp. et Roy. sera peu disposé à négocier, tant que son représentant à la Cour de Chine sera privé de tous les droits et pouvoirs qui lui sont dûs, et tant que les troupes Chinoises continueront à le menacer et à le priver de sa liberté. Dès que j’aurai retrouvé à Pekin la situation à laquelle j’ai droit, je ne me manquerai pas d’en informer mon Gouvernement.209 Die Korrespondenz und Fühlungnahme mit den chinesischen Behörden endete am 12. August gegen Mittag, als die Chinesen einen tags zuvor erbetenen - vom Doyen, dem spanischen Gesandten Cologan, strikt abgelehnten - Besuch in der britischen Gesandtschaft kurz vor dem vereinbarten Termin wieder absagen ließen. Als Ursache dafür vermutete Rosthom das „unaufhaltsame Vordringen der fremden Truppen.“ Andererseits nahmen die Belagerer ihre Angriffe wieder „mit aller Fleftigkeit auf1 und es zirkulierten Aufrufe, alle Europäer binnen fünf Tagen niederzumachen und auch Frauen und Kinder nicht zu verschonen. Nachdem die Belagerten schon zwölf Stunden zuvor Geschützlärm aus dem Gebiet östlich der Stadt wahmehmen konnten, trafen gegen zwei Uhr Nachmittag die ersten Entsatztruppen - bengalische Reiter und Fußtruppen unter dem Kommando von Generalleutnant Sir Alfred Gaselee - bei den bis dahin Belagerten ein „und wurden mit unbeschreiblichem Jubel empfangen“.210 211 In seiner politischen Berichterstattung räumte Rosthom auch dem ,Alltag“ während der Belagerung der Gesandtschaften breiten Raum ein. Den Mangel an Lebensmitteln und Munition bezeichnete er als die „größte Sorge der Belagerten.“ Nur Wenige waren bei Beginn der Feindseligkeiten im Besitz von Konserven; die Übrigen ernährten sich während der Belagerung fast ausschließlich von Brot und Pferdefleisch. Die chinesischen Christen, die sich lange Zeit von Kleie und Hirsemehl ernährt hatten, sammelten in den Tagen vor der Befreiung bereits das Laub von den Bäumen, um es vor dem Verzehr zu kochen. Von den Belagerern hätte man Mitte Juli ein einziges Mal „eine Sendung von Wassermelonen, Kürbissen und Gurken“ erhalten, welche „eher als ein Hohn auf unsere Lage, denn als eine Erleichterung derselben angesehen werden konnte.“2" In ihren Briefen aus Tagen der Belagerung hob Frau von Rosthom, die bald aus der englischen in die 209 Ebenda. - Winterhaider (1902), S. 372 gibt eine deutsche Übersetzung: „Von Ihrer Mittheilung Kenntniss nehmend, glaube ich Ihnen bemerken zu müssen, dass meiner Meinung nach die Regierung Seiner kaiserlichen und königlichen Majestät wenig geneigt sein wird zu verhandeln, solange Sein Vertreter am Hofe von China der ihm gebührenden Rechte beraubt sein wird und solange die chinesischen Truppen fortfahren werden, ihn zu bedrohen und seiner Freiheit zu berauben. Sobald ich in Peking diejenige Lage wiedererlangt haben werde, auf die ich Anspruch habe, werde ich nicht ermangeln, meine Regierung hievon in Kenntniss zu setzen.“ 210 HHStA, P.A. XX1X/14, Rosthom an Gotuchowski, Bericht No. 3/2. Serie, Shanghai, 10.9.1900. - Zum Abbruch der Verhandlungen vgl. auch Winterhaider (1902), S. 382. 211 HHStA, P.A. XXIX/14, Rosthom an Gotuchowski, Bericht No. 3/2. Serie, Shanghai, 10.9.1900. - Vgl. dazu auch Winterhaider (1902), S. 327. 82