Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)
Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel Österreichischer Berichte aus China
Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel österreichischer Berichte aus China Rosthorn berichtete, dass unter den in Beijing eingeschlossenen diplomatischen Vertretern keine Einigkeit in Sachen Beantwortung der von „Prinz Qing und Anderen“ erhaltenen Briefe herrschte. Der Doyen, der spanische Gesandte Cologan, war von Macdonald, Pichon, Giers und dem italienischen Gesandten Salvago-Raggi „gänzlich beiseite geschoben“ worden. Die Atmosphäre unter den Diplomaten hatte schon zu Beginn der Belagerung gelitten. Da der britische Gesandte das Oberkommando über die militärischen Operationen eigenmächtig übernommen hatte, gingen Rosthom und sein deutscher Kollege, Legationsrat von Below, vorerst in Opposition: Den diplomatischen Sitzungen habe ich zuerst überhaupt nicht beigewohnt, weil ich hiedurch der Correspondenz mit den chinesischen Behörden den gemeinsamen Character nehmen zu können meinte, späterhin nur als Beobachter behufs seinerzeitiger Berichterstattung daran theilgenommen.207 Am 16. Juli 1900 trat zur Überraschung der Eingeschlossenen ein Waffenstillstand ein. Rosthorn sah darin den Beweis, dass die Verfasser der diversen Zuschriften mit unseren Angreifern identisch und dass sie im Stande waren, wenn sie es wollten, die Feindseligkeiten zu sistiren oder einzustellen. Die beiden von Macdonald am 17. und 18. Juli an „Prinz Qing und andere“ gerichteten Schreiben zeigten laut Rosthom die in der britischen Gesandtschaft herrschende Entmutigung. Dort wäre man darauf bedacht gewesen, „die Chinesen um keinen Preis zu ffoissiren“ und hätte sich überdies mit dem Gedanken getragen, beim Herannahen der von den kooperierenden Mächten in Marsch gesetzten Truppen mit „Prinz Qing und Anderen“ über den Abzug der Fremden aus Beijing zu verhandeln. Als Indiz für diese Deutung betrachtete Rosthom das Gespräch des britischen Gesandten mit einem Sekretär aus dem Zongli Yamen, der im Auftrag von „Prinz Qing und Anderen“ erschienen und von Ronglu empfohlen worden war.208 Am 19. Juli stellten „Prinz Qing und Andere“ in einem weiteren Schreiben neuerlich die Fordemng nach Abreise der Gesandten aus Beijing auf. Um Zeit zu gewinnen, beklagten die Eingeschlossenen in ihrer Antwort die wiederholte Verletzung des Waffenstillstandes durch die Chinesen. Am 3. August erfuhren die Eingeschlossenen, dass die Zusammenstellung einer Eskorte für den Abzug der Ausländer nach Tianjin angeordnet worden war. In dieser Angelegenheit richtete das Zongli Yamen am 4. August erstmals seit Beginn der Belagerung eine offizielle Zuschrift an die diplomatischen Vertreter, in der den Eingeschlossenen „unverzüglich sicheres Geleit von Peking hinweg“ zugesagt wurde. Um dies den einzelnen Regiemngen melden zu können, erbaten die diplomatischen Vertreter vom Zongli Yamen am 4. August die Weiterbeförderung von Telegrammen. Vier Tage später, am 8. August, teilte das Zongli Yamen den Vertretern mit, dass Li Hongzhang zu Verhandlungen mit den an der Intervention in China beteiligten Staaten ermächtigt worden wäre. Rosthom, der keine Depesche HHStA, P.A. XXIX/14, Rosthom an Gotuchowski, Bericht No. 3/2. Serie, Shanghai, 10.9.1900. HHStA, P.A. XXIX/14, Rosthom an Gotuchowski, Bericht No. 3/2. Serie, Shanghai, 10.9.1900. 81