Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)

Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel Österreichischer Berichte aus China

Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel österreichischer Berichte aus China Sir Robert Hart, Inspector General der Chinese Maritime Customs, informierte am Abend des 9. Juni den britischen Gesandten Sir Claude Macdonald, dass die Kaiserin-Witwe den General Dong Fuxiang beauftragt hätte, gegen die Fremden vorzugehen („pour disposer de la vie des étrangers“)- Die xénophobe Geisteshaltung Dong Fuxiang’s war, wie es Rosthom formulierte, „hinlänglich bekannt“. Zudem genoss Dong das „unbeschränkte Vertrauen“ der Kaiserin-Witwe und von deren engsten Beratern, die ebenfalls „insgeheim mit den Boxern sympathisirten.“ Wie aus Tianjin gemeldet wurde, war von dort am 8. Juni ein Eisenbahnzug abgegangen, der die eiserne Brücke, auf der die Bahn bei Yangcun den Baihe'70 übersetzte, intakt vorfand, lediglich einige hölzerne Brücken über diesen Fluss wären zu jenem Zeitpunkt leicht beschädigt gewesen. Am Abend des 9. Juni war den Diplomaten auch bekannt, dass der britische Vizeadmiral Sir Edward Hobart Seymour beabsichtige, den in Beijing eingeschlossenen Ausländem mit einem Entsatzheer zu Hilfe zu kommen. In gedrückter Stimmung vertagten sich die diplomatischen Vertreter auf den folgenden Morgen: In den Morgenstunden des 10. Juni trafen in Beijing noch zwei Telegramme ein, die den Aufbruch der von Seymour geführten Expedition anzeigten. Zwei von Rosthom an jenem Morgen aufgegebene und bereits bezahlte Telegramme an das Ministerium des Äußern und an das Kommando von S.M.S „Zenta“ wurden vom Telegraphenamt „als unzustellbar“ retourniert: Am 10. Juni war zwar jeder Zweifel darüber, ob der Blocus bestünde, gewichen und jedes Bedenken das Signal zu militärischem Einschreiten zu geben, geschwunden, allein es waren jetzt nicht mehr die Mittel vorhanden, diese Erkenntnis und diesen Beschluss an die Befehlshaber gelangen zu lassen, denn am 10. Juni war auch die telegraphische Verbindung zerstört worden und blieb von nun an dauernd unterbrochen. Von diesem Zeitpunkte an hörte für uns jeder Verkehr mit der Außenwelt auf und datirt somit unsere eigentliche Cemirung.'7' Esherick (1987), S. 288 und ebenda, S. 404 Anm. 55. Nach Tan (1955), S. 65 f. hatten die Yihetuan am 4.6.1900 die Bahnstation von Huangcun in Brand gesteckt; die unter dem Kommando von Nie Shicheng stehenden Truppen töteten im Zuge dieser Operation mehrere hundert Anhänger der Yihetuan. Die Yihetuan forderten wenige Tage später von ihren Förderern bei Hof den Rückzug der Truppen des Generals Nie. Vgl. ebenda, S. 68. - Biographisches zu Nie Shicheng in ZJC, S. 562 f. Zu den unterschiedlichen Bezeichnungen des Flusses vgl. juan 20 (Abschnitt shanshui, d. h. Topo­graphie) im Tianjin fuzhi [Lokalhandbuch für die Präfektur Tianjin], ed. Sh en Jiaben, Tianjin 1898/99, photomechan. Nachdruck, Taipei 1970 sowie DMDC, S. 230. - Der Baihe (d. h: „weißer Fluß“) wurde häufig in der Form Beihe (Pei-ho, Pei Ho, etc.) und mit der Bedeutung „Nordfluß“ wiedergegeben. Seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts wurde in der westlichsprachigen Literatur wiederholt auf die richtige Lesung des Namens verwiesen. - Vgl. dazu E[mil] [Vasilievic] Bretschneider, Die Pekinger Ebene und das benachbarte Gebirgsland, Petermanns Geographische Mittheilungen, Ergänzungsheft 46, Erg.-Bd. 10, Gotha 1876, S. 11, Anm. 1 sowie 0[tto] F[ranz] von Möllendorff, Reisen und topographische Aufnahmen in der nordchinesischen Provinz Dshy-li. In: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin 16 (1881), vor allem die Bemerkungen auf den S. 119 und S. 121. HHStA, P.A. XXIX/14, Rosthom an Gotuchowski, Bericht No. 1 (II. Serie), Peking, 20.8.1900. 71

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