Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)

Die Haltung der Mächte zu den Ereignissen in China im Spiegel der Berichte Österreichisch-Ungarischer Diplomaten

Georg Lehner - Monika Lehner der Tatsache, dass diese Macht durch „Verantwortung und Kosten“ unverhältnis­mäßig stärker belastet werden müsste.874 Die gemeinsame Suche nach Lösungen der Krise in China Die Frage eines einheitlichen Oberkommandos der kooperierenden Mächte Der Beginn der Diskussion Wie Deym am 19. Juli berichtete, hatte Salisbury das russische Zirkular zur Frage der Ernennung eines gemeinsamen Oberbefehlshabers fur die in der Provinz Zhili kooperierenden Truppen vorerst unbeantwortet gelassen, obwohl auch er wusste, dass die bisher gehandhabte Praxis, das Kommando stets dem rangältesten Offizier zu überlassen, Nachteile hatte. Deym hielt es für „keine leichte Aufgabe“, in dieser Frage eine dauerhafte Verständigung zwischen den Mächten herbeizuführen.875 Szôgyény berichtete am 21. Juli über eine Unterredung mit seinem russischen Kollegen Osten-Sacken, der ihm das von St. Petersburg an alle in Ostasien interessierten Mächte ergangene Zirkular zur Frage des Oberbefehls in China näher erläuterte. Der k. u. k. Botschafter gewann den Eindruck, dass Russland von der „stillschweigenden Voraussetzung“ ausging, dass die Bestellung eines Oberkommandierenden „eine selbstverständliche Sache“ sei, „wobei es sich nur darum handle über die zu treffende Wahl zwischen den betheiligten Mächten schlüssig zu werden.“ Osten-Sacken erläuterte dem k. u. k. Botschafter auch jene zwei Prinzipien, die einer allfälligen Lösung dieses Problems zugrunde gelegt werden sollten. Es gelte zu entscheiden, ob der Oberbefehl dem rangältesten General oder dem Kommandanten des zahlenmäßig größten Kontingentes zuzufallen habe: Letztere Eventualität hätte, wie auch Graf Osten-Sacken mir gegenüber hervorhob, den zweifachen Nachtheil, dass einerseits die Basis bei eventuellen Nachschüben seitens einzelner Mächte wiederholt verschoben werden könnte, - und andererseits und das ist wohl das hauptsächlichste Bedenken, - dass nach diesem Prinzip der Oberbefehl wohl den Japanern zukäme, was für Russland kaum annehmbar wäre, und auch sonst schwerwiegende Bedenken zeitigen müsste.876 Wie Szôgyény im Auswärtigen Amt erfuhr, war man dort geneigt, eine mögliche Antwort auf das russische Zirkular bis zur Rückkehr Kaiser Wilhelms von seiner Nordlandreise aufzuschieben. Für Deutschland sei die Frage „wenn auch sehr wichtig, so doch nicht besonders dringend“, da erst Anfang September eine entsprechend große Anzahl deutscher Truppen in China eingetroffen sein würde. HHStA, P.A. XII/174, Calice an Gotuchowski, Bericht No. 37 A-I, Jeniköj [Yeniköy], 29.8.1900. - Calice hatte dem MdÄ seinen Empfang durch den Sultan schon am Tag der Audienz telegraphisch angezeigt: ebenda, Telegramm No. 102 (No. 3 312, Chiffre), Jeniköj [Yeniköy], 24.8.1900. - Zu den Gerüchten um die Entsendung osmanischer Truppen nach China vgl. auch .Angebliche Betheiligung der Pforte an den Truppensendungen.“ In: NFP, Nr. 12 907 vom 30.7.1900, Abendblatt, S. 4. HHStA, P.A. XX1X/18, Deym an Gotuchowski, Bericht No. 40 B Vertraulich, London, 19.7.1900 Ebenda, Szôgyény an Gotuchowski, Bericht No. 31 A-B Vertraulich, Berlin, 21.7.1900. 254

Next

/
Thumbnails
Contents