Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)
Die Haltung der Mächte zu den Ereignissen in China im Spiegel der Berichte Österreichisch-Ungarischer Diplomaten
Die Haltung der Mächte zu den Ereignissen in China ... erfahren habe, dass die Japaner von den Briten einen Preis für die Entsendung einer ansehnlichen Truppenmacht nach Nordchina verlangt hätten. Der Gewährsmann des österreichischen Journalisten, ein japanischer Diplomat, hatte sich jedoch nicht darüber ausgesprochen, ob dieser Preis darin bestanden hätte, Japan territoriale Zugeständnisse in China zu machen.758 Die Haltung des Deutschen Reiches im Urteil der k. u. k. Botschaft in Berlin „Hoffentlich werden aber im Laufe des Sommers ohnehin keine bedeutenderen internationalen Fragen zur Entscheidung gelangen“ meinte der k. u. k. Botschafter Szôgyény, als er am 5. Juni an Gotuchowski über die für den Sommer im Auswärtigen Amt zu erwartende personelle Besetzung berichtete und sich äußerst reserviert über die Person des Freiherm von Derenthall aussprach, der neuerlich zur interimistischen Leitung der Amtsgeschäfte während der Sommerwochen vorgesehen war.759 Die Sorge der europäischen Regierungen um ihre Gesandten in China war seit der Zerstörung der Bahnverbindung und der Telegraphenlinien zwischen Beijing und Tianjin mehr als berechtigt. Mitte Juni tauchten Gerüchte auf, die von der Ermordung einiger Gesandter wissen wollten. Nachdem das Auswärtige Amt in Berlin am 17. Juni noch über keine Bestätigung der Nachricht von der Ermordung des deutschen Gesandten verfügte760, blieb man über das wahre Schicksal des Freiherm von Ketteier vorerst im Unklaren.761 758 Ebenda, Deym an Gotuchowski, Bericht No. 38 A Streng vertraulich, London, 5.7.1900. 759 HHStA, P.A. II1/I54, Varia 1900, Briefe des k. u. k. Botschafters in Berlin, Szôgyény an Gotuchowski, Privatschreiben, Berlin, 5.6.1900: „[...] wird voraussichtlich wieder der preussische Gesandte in Stuttgart, Baron Derenthall, durch mehrere Monate die laufenden Geschäfte des Auswärtigen Amtes leiten. Während dieses Interregnums wird es, nach den vorjährigen Erfahrungen, für die Missionschefs wohl schwer sein, in der Wilhelmstraße etwas Erspriessliches zu leisten.“ - Vgl. auch Waldersee, Denkwürdigkeiten 111, S. 3 (über die Situation Anfang August): „Die Verwaltung des Auswärtigen Amtes hatte, wie schon im Voijahre, der Gesandte in Stuttgart, Derenthall. Er begegnete mir mit größter Höflichkeit, war aber doch zu neu im Geschäft, um mir viel helfen zu können.“ 760 Vgl. dazu HHStA, P.A. XX1X/17, Giskra an MdÄ, Telegramm No. 88 (No. 4 813, Chiffre), Berlin, 17.6.1900. 761 Zu der vom Deutschen Reich während der internationalen Intervention zur Unterdrückung der Yihetuan-Bewegung verfolgten Politik vgl.: Djang (1936), S. 92-168; Fritz Klein, Zur China- Politik des deutschen Imperialismus im Jahre 1900. ln: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 8 (1960), S. 817-843; George W. F. Hallgarten, Imperialismus vor 1914. Die soziologischen Grundlagen der Außenpolitik der europäischen Großmächte vor dem Ersten Weltkrieg, 2 Bde. (2. durchgearbeitete und stark erw. Auflage), München 1963, Bd. 1, S. 506-528; M. Michael, Zur Entsendung einer deutschen Expeditionstruppe nach China während des Boxeraufstandes. In: Von der Kolonialpolitik zur Kooperation. Studien zur Geschichte der deutsch-chinesischen Beziehungen, ed. Kuo Heng-yü, Berliner China-Studien 13, München 1986, S. 141-161; Udo Ratenhof, Die Chinapolitik des Deutschen Reiches. Wirtschaft - Rüstung - Militär 1871-1945, Militärgeschichtliche Forschungen 34, Boppard am Rhein 1987, S. 161-168; Rivinius (1987), S. 501-534; Konrad Canis, Von Bismarck zur Weltpolitik. Deutsche Außenpolitik 1890 bis 1902, Studien zur Internationalen Geschichte 3, Berlin 1997, S. 338-356. - Zu den Reaktionen der deutschen Sozialdemokraten auf die Ereignisse und die deutsche Politik in China vgl.: Günter 227