Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)

Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel Österreichischer Berichte aus China

Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel österreichischer Berichte aus China In seinem nationalen Stolze durch die Erfolge der Fremden gedemüthiget, in seinen Interessen von denselben bedroht, in seinen heiligsten Gefühlen tief verletzt, steigerte sich der Hass des Volkes gegen die Fremdlinge aufs äußerste und es bedurfte nur einer geringen Veranlassung, um die still lodernde Glut zu heller Flamme zu entfachen.405 Die in Europa verbreitete Meinung, dass die Missionare die Ursache der Unruhen gewesen wären, wurde von diesen erwartungsgemäß nicht geteilt. Sageder schrieb zwar, dass die Missionare „ein Dom im Auge der chinesischen Regierung“ wären, „weil sie in diesen fälschlich politische Organe erblickt.“ Der aus dem Osten der Provinz Jiangxi nach Shanghai geflüchtete Missionar wies im August 1900 jedoch auf die zwiespältige Position der Chinesen gegenüber ausländischen Einflüssen hin: In den offenen Häfen kann man Chinesen sehen europäische Cigarren rauchen, auf dem Zweirade die Straßen der Städte durchsausen, europäische Waren kaufen und verkaufen, europäische Lustbarkeiten mitmachen. Aber dessen ungeachtet machen sie sich über die europäischen Teufel lustig und wünschen sie über alle Berge fort aus China.4* Der Lazaristenpater Thomas Ceska, seit Ende der Neunzigerjahre im Vikariat Südwest-Zhili tätig, schrieb: Der Aufstand der Boxer gestaltete sich zu einer Christenverfolgung in großem Maßstabe, wie sie in China noch nie dagewesen. [...] Von den Missionären und Christen wäre wohl kaum einer am Leben geblieben, hätten letztere nicht zu den Waffen gegriffen, um sich selbst, ihr Hab und Gut, Kirchen und Seelsorger zu vertheidigen.407 Einige Jahre später schrieb er in brieflicher Form „Erinnerungen an die Verfolgungen im Jahre 1900“. Darin vertrat Ceska die Ansicht, dass es die Absicht der „Eintrachtsfaustkämpfer“ gewesen sei, das Christentum in China „mit Stumpf und Stiel“ auszurotten; auch die meisten Lokalbeamten hatten diese Haltung angenommen: „Die Verfolgung war eine von der Regierang veranstaltete und gewollte.“408 405 Ein Missionär über die Verfolgungen in China (Von P. Zeno Möltner). In: Steyrer Zeitung, Nr. 24 vom 24.3.1901, S. 3 f. 406 Friedrich Sageder, Die Tage der Verfolgung (Aus Shanghai, China). In: JKÖ 1900/IV,S. 19. 407 Thomas CeSka, Ein Kreuzzug gegen die Boxer. In: JKÖ 1902/1, S. 18-22, Zitat S. 18 f. 4118 Thomas Ceska, Erinnerungen an die Verfolgungen im Jahre 1900. In: JKÖ 1906/III, S. 17-22, hier S. 17. 131

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