Helga Embacher, Gertrude Enderle-Burcel, Hanns Haas, Charlotte Natmessnig (Hrsg.): Sonderband 5. Vom Zerfall der Grossreiche zur Europäischen Union – Integrationsmodelle im 20. Jahrhundert (2000)

Konzepte, Politikmodelle und Identitäten im Europa von morgen - Manfred Rotter: Europäische Konzeptionen auf dem Wege zur Europäischen Union - Der Europagedanke seit 1945

dieses fruchtbaren Kulturbodens an Europa“ belegt.17 Daß angesichts der wechsel­vollen Ereignisse auf der Mittelmeerinsel in den letzten Dezennien unverdrossen auf die „stark von europäischem Einfluß geprägten Wertvorstellungen des zy­prischen Volkes“ gebaut wird,18 zeugt von der eindrucksvollen Verdrängungskapa­zität des Europabegriffes, ist er einmal gefaßt und einem geographischen Raum aufgestülpt. Im übrigen verleitet der Hinweis auf die „zweitausendjährige Bin­dung“ an Europa zu der Frage, ob nicht der unverkennbare Altersvorsprung der zyprischen Kultur vor der europäischen eine Umkehr der Argumentationsvorzei­chen rechtfertigte. Als Zwischenergebnis ist immerhin festzuhalten, daß die Organe der EU und ih­rer Gemeinschaften dem Raum „Europa“ die nördlichen Gestade des Mittelmeeres und seine Inseln, nicht aber dessen östliche und südliche Anrainerstaaten zurech­nen. Durch die Anbindung des türkischen Territoriums an Europa ist implizit die Ostausdehnung der EU in den asiatischen Raum mit den bereits angesprochenen Auswirkungen vorgegeben. 3.2. Der Europarat Der Europarat, dessen Gründungsvertrag eine ähnliche auf „Europa“ bezogene Erweiterungsklausel enthält,19 hat durch die Aufnahme der GUS-Staaten Armenien, Aserbaidschan und Georgien zwar keinen unmittelbar rechtserheblichen, aber doch materiell interessanten Präzedenzfall geschaffen.20 Seine präjudizielle Bedeutung liegt nicht zuletzt in dem Umstand, daß alle EU-Staaten, die ja auch Mitglieder des Europarates sind, diesem Ostbezug des Europabegriffes zugestimmt haben. In der entsprechenden Entscheidung der Parlamentarischen Versammlung des Europara­tes wird „salomonisch“ darauf abgestellt, daß die genannten Staaten ihren Willen klar zum Ausdruck gebracht haben, als Teil Europas anerkannt zu werden.21 Das bedeutet, daß solcherart die schulgeographischen Grenzen mit Hilfe einer Willens­erklärung übersprungen werden können. Wenn dies Schule macht, wird es natür­lich in Zukunft nicht leicht sein, etwa dem durch die französische Kolonialherr­schaft deutlich geprägten Algerien ähnliche europäische Ambitionen abzusprechen. Nicht viel anders stellte sich die Beurteilung eines Aufnahmeantrages Israels dar, dessen europäischer Charakter, wenn auch auf fatale Weise, gleichermaßen durch Europäische Konzeptionen auf dem Wege zur Europäischen Union 17 Vgl. Stellungnahme der Kommission zum Beitrittsantrag der Republik Zypern, BullEG, Beilage 5/93, S. 17. 18 Ebenda. 19 Art. 4 Satzung des Europarats, London, 5. Mai 1949 (BGBl. 1956/121 idF. 1995/839). 20 Vgl. Bruha - Vogt: Rechtliche Grundfragen der EU-Erweiterung, S. 484; Vedder: Art. O EUV, Rz. 12. 21 Bericht der Parlamentarischen Versammlung v. 22. April 1992, The Geographical Enlargement of the Council of Europe, HRLR Vol. 13 (1992), No. 5-6, S. 230 f. 235

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