Helga Embacher, Gertrude Enderle-Burcel, Hanns Haas, Charlotte Natmessnig (Hrsg.): Sonderband 5. Vom Zerfall der Grossreiche zur Europäischen Union – Integrationsmodelle im 20. Jahrhundert (2000)
Von der alten zur neuen Ordnung - Hanns Haas: Das Ende der Habsburgermonarchie
Da« Fnde der Habshurgermonarchie politischen Eliten übernahmen in geordneten Schritten, beinahe legal, die Staatsgewalt, die den alten Autoritären gleichsam entglitt. Die Neugestaltung der Verhältnisse begann sogar mit einer Initiative von oben, mit einem kaiserlichen Manifest vom 16. Oktober 1918, welches die Völker Österreichs - jedoch nicht Ungarns - zur Bildung von Nationalausschüssen aufforderte. Die letzte altösterreichische Regierung Lammasch erhob förmlich die Staatsliquidierung zu ihrem Programm. Als das bis dahin kohärente Heer in den letzten Oktobertagen 1918 zerfiel und der österreichisch-ungarische Außenminister um den Waffenstillstand ersuchte, ergriffen die Nationalitäten die Staatsmacht. Beinahe nirgends kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, abgesehen von symbolischen Handlungen, wie etwa dem Sturz der Prager Mariensäule. Nicht mit dem alten Regime, sondern mit ihrer Geschichte, rechneten die Nationen ab und was sie leidenschaftlich vernichteten, war die österreichische Komponente ihrer eigenen Identität. „Entösterreicher“ hieß nicht zufällig das politische Schlagwort der jungen Tschechoslowakei. Den Waffenstillstand vom 3. November 1918 Unterzeichnete bereits eine k. u. k. Regierung ohne Land. Es war die lange Tradition eines geordneten politischen Diskurses zwischen den Nationen, welche diesen friedlichen Machtwechsel ermöglichte. Die Folge war eine Dismembration Altösterreichs in jene Provinzen, welche seit 1526 zum Habsburgerstaat vereinigt waren. Streng genommen traten also nicht die Nationen selbst, sondern die „historisch-politischen Individualitäten“ das Erbe des Kaiserstaates an.” Etwas abweichend entwickelte sich die Situation in Ungarn, wo die tausendjährige Geschichte eines von den Magyaren beherrschten Einheitsstaates keine Binnengrenzen kannte, abgesehen von Kroatien und Siebenbürgen. Der Zerfall Altungams bedeutete daher eine Zerlegung in ethnische Teilstaaten bzw. die Aufteilung auf die Nachbarstaaten. Bezeichnenderweise war der ungarische revisionistische Legitimismus weiterhin viraient, während der österreichische stets eine Marginale blieb. 37 37 Diesen Gedanken betont zurecht Fritz Fellner in seinen Vorträgen und Vorlesungen. 29