Sonderband 4. Das Institutionserbe der Monarchie. Das Fortleben der gemeinsamen Vergangenheit in den Archiven (1998)
Felix Tobier: Das Burgenländische Landesarchiv und seine Beziehungen zu den ungarischen Archiven seit 1921
Das Burgenländische Landesarchiv und seine Beziehungen zu den ungarischen Archiven seit 1921 Stadt des Reichsgauarchives Niederdonau“ zu einer untergeordneten Dienststelle des letztgenannten Archivs geworden war und sich sein Zuständigkeits- bzw. Tätigkeitsbereich nur mehr auf die nördlichen Verwaltungsbezirke des ehemaligen Burgenlandes (Neusiedl am See, Eisenstadt, Mattersburg und Oberpullendorf) erstreckte, konnte von einer eigenständigen Geschäftsführung des Filialarchivs oder sogar von einer Zusammenarbeit desselben mit ausländischen Archiven keine Rede sein. Außerdem mußte das Filialarchiv seit 1943 verstärkt sein Augenmerk Verlagerungs- und Bergungsmaßnahmen zuwenden, die infolge des immer stärker werdenden Luftkrieges notwendig wurden6. Nach der Wiedererrichtung des Landes Burgenland als autonomes Bundesland der Republik Österreich am 1. Oktober 1945 wurde das wiedererrichtete Landesarchiv mit der Landesbibliothek zu einer eigenen Verwaltungs- und Geschäftsabteilung (mit der Bezeichnung XII/2) des Amtes der Landesregierung zusammengeschlossen, der außer der Wahrnehmung der Agenden des wissenschaftlichen und fachtechnischen Archiv- und Bibliotheksdienstes noch die Wissenschaftsförderung auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften, die 1943 gegründete „Landeskundliche Forschungsstelle“, die historischen Veranstaltungen des Landes, das wissenschaftliche Publikationswesen, die Nomenklaturkommission für geographische Namengebung (seit 1970) u.a.m. zugeteilt worden sind. Als man sich nach dem Zweiten Weltkrieg nach Überwindung der kriegsbedingten Schwierigkeiten (Lösung der Raumfrage, Rückführung von ausgelagerten Beständen u.a.) am Landesarchiv verstärkt mit der Geschichte des Landes und ihren Teilaspekten zu beschäftigen begann und auch die Zahl der Archivbenützer stark anstieg (an wichtigen Publikationen erschienen beispielsweise 1951 die Landeskunde, 1954 der erste Band der Allgemeinen Landestopographie), zeigte sich alsbald als schmerzliches Manko, daß sich ein Großteil der für die Erforschung der Landesgeschichte relevanten Archivalien in auswärtigen Archiven befand (teils in den Wiener Zentralarchiven, teils im Ungarischen Staatsarchiv bzw. den einzelnen Regionalarchiven/Komitatsarchiven) und dadurch der Forschung entweder überhaupt nicht oder nur sehr schwer zugänglich war. Um dieses Manko allmählich zu beseitigen, beschloß die Landesregierung 1954 die sukzessive Mikroverfilmung der für die Erforschung der Geschichte des Landes wichtigen, in auswärtigen Archiven verwahrten Archivalien, und noch im selben Jahr wurde durch ein Privatunternehmen die Mikroverfilmung in Angriff genommen, wobei zunächst Bestände des Hofkammerarchivs, später auch des Niederösterreichischen Landesarchivs und des Haus-, Hof- und Staatsarchivs verfilmt wurden7. Zwei Jahre später, im Sommer 1956, unternahmen der damalige Landesoberarchivar Dr. August Ernst und der Bibliotheksbeamte Karl Semmelweis nach gründlicher Vorbereitung eine Dienstreise nach Ungarn, um Kontakte mit dem ungarischen Archivwesen anzuknüpfen. Zweck dieser Reise sollte die Evidentierung der für die Landesgeschichte relevanten Archivbestände, die Aufnahme eines Tauschverkehrs der historischen Fachpublikationen sein, 6 Homma: a.a.O., S. 2 ff. 7 Burgenländisches Landesarchiv, 10. Jahresbericht (1954), Eisenstadt 1955, S. 3 f. 82