Sonderband 4. Das Institutionserbe der Monarchie. Das Fortleben der gemeinsamen Vergangenheit in den Archiven (1998)

János Lakos: Das Badener Abkommen und die österreichisch-ungarischen Archivbeziehungen in der Zwischenkriegszeit

Das Badener Abkommen und die österr.-ung. Archivbeziehungen in der Zwischenkriegszeit Eiserne Vorhang auch mehrmals Gelegenheit zur endgültigen Ausschaltung des Abkommens gegeben. Und trotzdem kam es nicht dazu. Wahrscheinlich aus dem Grund, weil keine aus der Luft gegriffene, sondern eine die Erfahrungen der ge­meinsamen Vergangenheit von mehreren Jahrhunderten in Betracht ziehende überlegte Abmachung getroffen wurde. Die Zwangspause der 50er Jahre abgrech- net gab es - zwar mit wechselnder Intensität - eine österreichisch-ungarische Zu­sammenarbeit auf dem Bereich der Archive. Ich bin der Meinung, daß dies durch die Vorträge der heutigen Sitzung reichlich, auch den außenpolitischen Hintergrund zeigend, vom Standpunkt beider Länder aus erleuchtet wird. Ich erlaube mir im folgenden - vom ungarischen Standpunkt aus - die Formen und die Charakteristiken der Beziehung, der Zusammenarbeit zwischen den öster­reichischen Zentralarchiven, dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv und dem Hofkam­merarchiv sowie dem Ungarischen Staatsarchiv vom Inkrafttreten des Abkom­mens, vom 1. Januar 1927 an bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges kurz zu überblicken. Diese Zusammenarbeit beruhte auf dem Abkommen und wurde zum Großteil unter Mitwirkung der ungarischen Archivdelegation abgewickelt. Die Hauptbereiche der Zusammenarbeit waren die folgenden: die Übergabe des aufgrund des Badener Abkommens bestimmten Archivmaterials, Empfang der Forscher, Ausleihen des Archivmaterials und Austausch von Publikationen. 1. Übergabe des Archivmaterials Den ersten Schritt der Durchführung des Badener Abkommens stellte die Über­gabe - mit zeitgenössischer ungarischer Bezeichnung: die Auslieferung - des Ungarn gebührenden Archivmaterials dar. Das Haus-, Hof- und Staatsarchiv, das Hofkam­merarchiv sowie in kleinerem Maße das Archiv des Finanzministeriums und das Archiv des Ministeriums des Innern und der Justiz haben die Dokumente zum Groß­teil bereits 1927, und zwar auf dem Wege der Archivdelegation übergeben. Das auf diese Weise in den Bestand des Ungarischen Staatsarchivs gelangte Archivmaterial ist auf seinen Ursprung her äußerst zusammengesetzt. Viele von ihnen sind Doku­mente, die im Laufe der Tätigkeit der ungarischen Behörden entstanden, später jedoch in die Archive der Wiener Regierungsorgane gelangten. Die zweite Gruppe der Dokumente stellen die sich auf Ungarn beziehenden Akten der gemeinsamen Behörden und ihrer untergeordneten ungarischen Organe dar, die im allgemeinen in den Archiven auch ursprünglich in gesonderten Reihen gelegt wurden. Im überge­benen Archivmaterial ist auch der Schriftstücknachlaß von mehreren sich in den ge­meinsamen Ämtern betätigenden ungarischen Beamten zu finden, so z. B. der Nach­laß von Jözsef Izdenczy Staatsrat, Istvän Päpay Kabinettbüro-Sekretär und Lajos Thallöczy Sektionschef des gemeinsamen Finanzministeriums2. 2 Paulinyi, Oszkâr: Bécsi levéltârakbôl kiszolgâltatott iratok. Levéltâri alapleltärak. I. Orszâgos Levéltâr. LOK Budapest, 1956. pp. 3^1; Pajkossy, Gâbor: Bécsi levéltârakbôl kiszolgâltatott iratok. Repertorium. MOL Budapest, 1979. p. 5. 30

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