Sonderband 2. International Council on Archives. Dritte Europäische Archivkonferenz, Wien 11. bis 15. Mai 1993. Tagungsprotokolle (1996)
4. Session / Séance. Strategies for Links with Historical Research / Stratégies de Communication envers la Recherche historique - Discussion/Interventions
4. Session/Séance: Discussion - Interventions Es ist also eine der wichtigsten Aufgaben unseres Berufs, gerade wenn wir für die Zukunft Quellen bewahren wollen, eine konzise Bewertungstheorie zu entwickeln, eine Theorie, die von nationalen Besonderheiten und bezüglich der Struktur von Schriftgut unabhängig ist, und die nicht versucht, das, was Auswertungsziele sind, zu antizipieren. Darauf dürfen wir uns eigentlich nicht einlassen, sondern wir müssen die Akten für jede mögliche Auswertung offen machen. Wenn wir versuchen wollten, Auswertungsziele von historischer Forschung zu antizipieren, dann können wir nur den Löffel abgeben. Kein einzelner Mensch ist imstande, auch kein Historiker, alle möglichen Forschungsziele der Geschichtsforschung in sich zu vereinigen und mit sicherem und ruhigem Gewissen sagen, ich archiviere nur das „brauchbare“ Schiftgut. Die Entwicklung dieser Methode ist m. E. die wichtigste Aufgabe für die nahe Zukunft, ohne aber die Arbeit hiefür an irgendwelche Conseils, Räte oder sonstige Gremien abzugeben. Kurt Peball: Im Sinne von Frau Menne-Haritz will ich betonen, daß der Beruf des Archivars - nicht allein wegen der Bewertungsfrage - eine sehr verantwortungsvolle Tätigkeit ist. Wir haben nicht allein die Erschließung der historischen Dokumente, deren Bewertung, Konservierung, Restauriemng oder Skartierung sowie die Bereitstellung für die Öffentlichkeit zu besorgen, wir haben auch die Legislative zu beachten, wir haben die Sensibilität der einzelnen geschichtlichen Entwicklungen in den einzelnen Ländern zu berücksichtigen. Was die Frage der Archivgesetzgebung betrifft, will ich hier das österreichische Beispiel kurz andeuten. Wir haben in Österreich kein Archivgesetz, das die Abgabe, die Bearbeitung und Behandlung der Archivalien regelt. Es gibt allerdings Richtlinien, die dem europäischen Standard entsprechend eine 30-Jahr-Sperre für Akten, gerechnet vom Beginn eines Geschäftsvorganges festlegen: das heißt, Akten über Geschäftsfälle, die vor 30 Jahren begonnen wurden, sind - von gewissen Ausnahmen wie Personendatenschutz abgesehen - frei zugänglich. Diese Frist kann, etwa für Dissertationen, auf 20 Jahre verkürzt werden. Trotz Sperrfristen bleiben Archive m. E. Dienstleistungsbetriebe, die (in erster Linie) für die Wissenschaft Information zur Verfügung stellen. Edward Fracki: Eine Frage an den Internationalen Archivrat: Wie können Historiker ihre Arbeit tun, wenn das Problem der Archivierung der „militarisierten“ Dokumente nicht gelöst ist? Der Internationale Archivrat hat eine Kommission für Standardisierung der traditionellen Dokumente, aber bisher ist nichts geschehen. Wir sind nun am Ende des 20. Jahrhunderts angelangt und sollten doch mehr Willen zur Kooperation zeigen und Resultate vorweisen. Fritz Lendenmann: Ich darf hier als Mitglied des Exekutivkomitees kurz Stellung nehmen. Es gibt leider noch keine Lösung für diese sehr, sehr wichtige Frage, aber ich will doch festhalten, daß das Exekutivkomitee mit den jüngst in mehreren Kommissionen vorgenommenen Reformen sich sehr ernsthaft um dieses Problem kümmert. Aber wir müssen, um Klaus Oldenhage zu zitieren, eben auch hier Geduld haben, bis wir schließlich zu einer vernünftigen Lösung kommen. 441