Király Nina - Török Margit: PQ '95. Magyar színpad - kép - írók (Budapest, 1995)
A változás színháza 1991 - 1995
1 I ! künstlerischen Mittel. Die grösste Gestalt des siebenbürgischen ungarischen Theaterlebens der vergangenen Jahrzehnte, György Harag, konnte nicht mehr gegen das nuancelose Theater der pathetischen Worte kämpfen. Er konnte den schmerzhaften Beweis seines Rechts nicht mehr erleben. Nach der rumänischen Wendung, als die Bürgerbewegungen sich auf die Strasse übertrugen, wurde das Auditorium des Theaters Schritt für Schritt leer. Ein junger Schauspieler, der an einem der in jedem Jahr in Ungarn organisierten nationalen Theaterfestivals teilnahm, hat sich traurig beschwert, dass sie zu Hause jeden Abend für fünfzehn Zuschauer spielten. 'Wir müssen alles von vorne anfangen — hat er objektiv hinzugefügt —, wir müssen neu lernen, wozu Theater ist, und wir müssen unsere Fähigkeiten entwickeln, die dahingestorben sind, als wir die Funktion des Theaters missverstanden haben." Der vorher zitierte Goerges Banu hatte Recht darin, dass in den vergangenen Jahren die Mythologie des europäischen Theaters verschütten wurde, und die ungeheuer grosse gesellschaftliche Erwartung der Theaterkunst gegenüber im Verfall begriffen ist. Als Folge dessen ist es eine Minderheitsaktivität geworden, und benimmt sich auch so: es nimmt das Minderheitssein auf sich. Die Kommerzialisierung einiger Künstlertheater und die entsprechende Geschmacksveränderung der Zuschauer hat den Typ des Theaters in Minderheit gedrückt, das unveränderlich, mit einem naiven Heroismus darauf besteht, dass es die Gesellschaft mit ihrer wahren Gesicht konfrontiert. Dieses Theater wird wortwörtlich auf immer kleineren Platz gedrängt, wie in der einmal berühmten Tartuffe Inszenierung von Roger Planchon, wo die Orgon Familie aus ihrer Heim von Szene zu Szene allmählich ausgedrängt wird. .Statt der grossen Bühnen sind es auch bei uns immer mehr die Kammerbühnen und die Studiobühnen, wo die wahre Kunst entsteht. Das heutige Ensemble des Katona- József-Theaters wurde damals aus dem Nationaltheater von der gesellschaftlichen Ungeduldigkeit ausgedrängt, aber zur Zeit sind wir selbst Zeuge davon, wie die Spannung, Erregung, das theatralische Geschehen von dem Schauplatz von Drei Schwestern, Dem Revisor (1987), Platonow 11990) in das eigene Studio des Theaters, in die sogenannte Kammer übertragen wird. Die Kraft des Theaterseins der Minderheit wird von einem der merkwürdigsten ungarischen Theatermachern, Péter Halász bewiesen, der nach langem Abstecher in den vergangenen vier Jahren nach Ungarn zurückkehrte. Halász hat Anfang der siebziger Jahre avantgardistisches Theater in Budapest gemacht. Als er aus den staatlich unterstützten Kulturhäusern ausgedrängt wurde, weil seine Tätigkeit von den politischen Behörden für zu aufwühlend gehalten wurde, hat er mit seinem Ensemble in verschiedenen Wohnungen gespielt. Diese ‘geheime Aufführungen" wurden von einem engen Freundenkreis besucht: Intellektuellen, Künstlern, Oppositionellen. Vor den Belästigungen hat Halász mit seinem Ensemble 1974 das Land verlassen und bald darauf erschienen sie in New Zork, wo sie in Kürze internationalen Ruf unter dem Namen Squat Theater errungen haben. Später, hat sich die Gruppe in zwei Teilen geteilt und hat seine Tätigkeit unter dem Namen Love Theatre weitergeführt. Nach der politischen Systemveränderung hat Halász zuerst mit seinem Ensemble in Ungarn gastiert, dann ab Anfang der neunziger Jahre hat er mehrere selbständige Inszenierungen in der Kammer gemacht, zuerst hat er seine eigenen, Stücke aufgeführt (The Chinese, Ambition), dann Herbst 1994 hat er ein besonderes Unternehmen begonnen. Er hat ein Stück während eines einzigen Tages anhand einer Zeitungsnachricht geschrieben, einstudiert und mit einem Ensemble aufgeführt. Und das hat er in zwei Monaten wöchentlich viermal wiederholt. Die Idee wurde von dem Widerspruch ins Leben gerufen, dass das Theater, mag es bleibender Wert sein, in der Zeit vergeht. In einem bestimmten Sinne ist jede Aufführung einmalig und unwiederholbar. Umsonst ist die während der Proben zusammengestimmte Konzeption des Regisseurs, die serienmässige Reproduktionsfähigkeit eines doch so gewissenhaften Ensembles, das Spiel wird sich in seinen Details Abend von Abend ändern — während es seine Grundzüge bewahrt. Es gibt keine vollkommene Reproduktion, der Schauspieler ist keine Maschine, er ist unfähig Akzente und Geste mechanisch festzusetzen. Immer kann etwas Unerwartetes geschehen, das die Aufführung des Tages von der vom Gestern unterscheidet: die veränderte Stimmung, die Intuition des Schauspielers, die andere Reaktion des Publikums, ein knackender Stuhl, ein bei einer anderen Stelle ausbrechendes Lachen, ein verspäteter Dekorationsteil oder ein explodierter Reflektor. Manchmal machen diese Unterschiede die Aufführung lebendig, organisch: wenn sie nicht gäben, würde die Produktion erstarren und absterben. Es gibt manche Regisseure, die inzwischen selbst einige Einzelheiten ändern, um zu vermeiden, dass die Aufführung in diesem Sinne 'erfriert”. Sie sind die Regisseure, die unter dem Paradox der Engültigkeit und Eventualität leiden. Sie sind damit im reinen, dass das Theater gerade von diesem Unsicherheitsfaktor aufregend ist, das ist, was es von den Konservkünsten, zum Beispiel dem Film, unterscheidet. Sie sind aber doch unfähig, dieses Paradoxon aufzulösen. Sie kommen höchstens soweit, wie Peter Brook, der zu einer Zeit mehrmals betonte, dass eine Aufführung eigentlich nur einmal gespielt werden dürfte. Andere erwähnen Shakespeare, der damals keine Klassiker spielte, sondern die Stücke 'an Ort und Stelle" geschrieben hat und die Aufführung seinem Ensemble anpasste. Halász hat was ähnliches gemacht. Wie Shakespeare die zeitgenössischen geschichtlichen Werke, Kromken, Plutarchs frisch übersetzte paralelle Biographien als Quelle angewandt hat, so hat er die Tageszeitungen benutzt. Shakespeare wollte keine dichterischen Werke schaffen, er hat nicht für die Ewigkeit, sondern für die nach Unterhaltung sehnenden Zuschauer gearbeitet; der Text wurde erst später, während der Aufführungen abgeschrieben. Halász und seine Leute waren noch weniger hochstrebend: sie haben sich nicht einmal Möglichkeit gegeben "Klassiker" zu werden Am Abend haben sie den entsprechenden Artikel aus der Zeitung vom folgenden Tage ausgewählt, in der Nacht geschrieben, vormittag geprobt und abend fand die Aufführung statt. Und dann haben sie es nach einmaligem Gebrauch weggeworfen, wie ein Papiertaschentuch. Und sie haben ein neues geschaffen. Das war keine Improvisation. Noch weniger Publizistik. Sie haben nicht Nachrichten dramatisiert und sie ha-ben keine Geschichten aus den täglichen Ereignissen entfaltet. Sie haben auch nicht Sensation gesucht. Eher das mythologische Element im Alltäglichen. Es reichte eine Todesnachricht, um über existentialphilosophische Fragen nachzusinnen. Wenn eine Statue eingeweiht wurde, bot es Gelegenheit unser Geschichtsbewusstsein zu prüfen. Wechselhafte Theatergenres sind so zustande gekommen — vom beckettschen Absurden bis zum Pamphlet, vom Kabarett bis zur Tagikomödie, vom literatischen Abend bis zum Schauspiel. Es ist eine richtige Teamarbeit entstanden. Die Rollen des Schriftstellers, Regisseurs, Schauspielers verquickten sich; dass sie aufeinander angewiesen waren, hatte unerwartete Leichtigkeit und Eleganz zur Folge. Das Theater wurde zu einem lockeren Spiel, man sollte keine Angst davor haben, dass es zu Rutiné verschiesst, oder in Selbstwiederholungen erstarrt. Ab und zu hätten wir Lust gehabt, Faust ähnlich, dem Augenblicke zu sagen, verweile doch, du bist so schön. Aber der Augenblick.. .Er hat gerade eine kleine Spur hinterlassen - und das war das Theater Die Politik lebt in den bedeutendsten Aufführungen weiter, wenn auch in einer veränderten Form. Nach der Erschaffung der Grundmöglichkkeiten der Demokratie ersetzt sie nicht mehr die Freimütigkeit, dient nicht mehr als (berlistung der Zensur durch die Metakommunikation des Theaters, sondern sie weist mit ihren nuancierteren Mitteln, durch Allusionen auf die um uns vorgehenden gesellschaftlichen Vorgänge hin Shakespeares Julius Cäsar (1994), zum Beispiel, stellt im Katona-Jözsef-Theater ein balkanisiertes Rom dar. Die am meisten betonte Szene des ersten Teiles ist die letzte, wenn Cinna, der Poet, von dem durch Demagogie aufgehetzten Pöbel ermordet wird, nur weil er ihn mit Cinna, dem Senator verwechselt. Betonter als der erste ist der zweite Teil, die Agonie der blutenden, unter den Ruinen der qualmenden Stadt herumirrenden Soldaten. Rom als Sarajevo Die ruinierte Stadt und der blutige Schlachthof wirkt auf die Voreignisse zurück: sie degradiert die Figuren als Politiker und Staatsmänner Es gibt keinen Heldentod, wenn sie sich in das Schwert stürzen, es ist ein magemumdrehendes Grauen. Aber es gibt auch kein Heldenleben, die von Brutus geleitete farblose demokratische Verschwörung scheint auch nicht moralisch hochwertiger zu sein, als Casars joviale Diktatur. Es fehlt der moralische Einsatz bei dem Kampf um die Macht, beziehungsweise steht die Macht selbst auf dem Spiel, was offenbar viel mehr für den eitlen, kleinlichen Cäsar bedeutet, als für den viel weniger ambitiösen Brutus. Der Anschlag gegen Cäsar ähnelt sich einem laienhaft durchgemachten Schweineschlachten, die Mörder beschmieren sich mit Blut bis zum Ellenbogen als Symbol der Retter der Heimat. Antonius drückt so selbstbewusst die blutigen Hände XVI