Judit Tamás: Verwandte typen im schweizerischen und Ungarischen kachelfundmaterial in der zweiten hälfte des 15. jahrhunderts (Művészettörténet - műemlékvédelem 8. Országos Műemlékvédelmi Hivatal,1995)
Vorwort
VORWORT Eine Monographie über mittelalterliche Ofenkacheln - auf den ersten Blick könnte sie in einer Bücherreihe des Ungarischen Landesdenkmalamtes überraschend wirken. Bislang publizierten wir in dieser Reihe („Kunstgeschichte Denkmalpflege") topographische Werke (wie „Kunstdenkmäler in der BalatonGegend" und „Die eklektische Bauplastik von Budapest") oder eine Monographie der Ausgrabungen eines mittelalterlichen Klosters („Die Abteikirche des Benediktinerordens in Vértesszentkereszt"), einen Sammelband mit den Vorträgen einer Tagung („Mittelalterliche Baukunst der Bettelorden in Ungarn") und mehrere Bände mit Aufsätzen über die verschiedensten Aspekte der Denkmalpflege, Baukunst und Kunstgeschichte Ungarns. Der Widerspruch ist aber nur ein scheinbarer. Das ungarische Material dieses Werks, hunderte von mehr oder weniger zerstörten Ofenkacheln, kam in den letzten fünfzig Jahren zum Vorschein - ausschließlich im Zuge von Ausgrabungen, die größtenteils an den wichtigsten Objekten der mittelalterlichen Baukunst des Landes durchgeführt wurden. Diese Arbeiten knüpfen an die Restaurierung nur in Ruinen erhalten gebliebener Ensembles an, wie die königlichen Residenzen in Buda, Visegrád, Diósgyőr, Tata oder Bauten der geistlichen und weltlichen Aristokratie wie Eger, Bács bzw. Nagyvázsony und Ozora. Bei diesen Gebäuden gehen die Ausgrabung und die Bauforschung immer der Wiederherstellung voran. Einen „kleinen" Teil der wissenschaftlichen Ergebnisse der Ausgrabungen bildet das unerwartet reiche Material mittelalterlicher Ofenkacheln. Das Studieren dieses Materials ist mühsam: mehrere tausend Bruchstücke müssen sorgfältig gereinigt, sortiert und restauriert und danach an den zahlreichen Fund- und Aufbewahrungsorten katalogisiert werden. Die kunstgeschichtliche Analyse und Versuche, die einstigen Kachelöfen zu rekonstruieren, folgen erst danach. Aber die dabei erzielten Ergebnisse wirken auf die denkmalpflegerische Arbeit zurück: diese Ofen waren nämlich in vielen Fällen ein nicht weniger wichtiger Bestandteil der Innenausstattung ehemaliger Gebäude als die Skulptur oder die Wandmalerei. Bei der kunstgeschichtlichen Beurteilung von zerstörten Baudenkmälern dienen die Kacheln als wichtige Quellen. Die Fragestellung dieser Monographie ist keineswegs alltäglich. Die Problematik der Kontakte zwischen Ungarn und der Schweiz auf dem Gebiet der mittelalterlichen Kunst wird im allgemeinen nur sehr selten berührt. Der berühmte Miniatur-Altar der Königin Agnes, Witwe des letzten Arpáden-Königs Endre III., heute im Berner Museum, gelangte infolge historischer Ereignisse in die Schweiz und kann nicht als Kunstbeziehung betrachtet werden. Das Auftauchen des ungarischen Drachenordens des Königs Sigismund an bemalten Glasfenstern in der Schweiz läßt sich ebenfalls mit politischen Verbindungen erklären. Somit kann dieses Buch, das mögliche Parallelen der Entwicklung der Kunstmode in beiden Ländern aufdeckt, als ein bahnbrechendes Werk angesehen werden. Pál Lővei