Karl Alfred von Zittel: Handbuch der Palaeontologie. 1. Abtheilung, Paleozoologie. IV. Band: Vertebrata (Mammalia) (München und Leipzig, 1891-1893)

5. Classe. Mammalia. Säugethiere - Gebiss

Mammalia. Säugethiere. 47 Entwickelung kommt dagegen bei diphyodonten Säugern niemals vor. Die Reduktion beginnt fast immer mit den am Ende einer bestimmten Kategorie stehenden Zähnen, z. B. mit dem letzten oder ersten J, dem vordersten P oder dem letzten M und schreitet von da nach vorne oder hinten weiter. Ursprünglich waren wohl sämmtliche Zähne, wie bei den Reptilien, durch gleichmässige Abstände von einander getrennt, so dass die Zähne des Oberkiefers in die Lücken zwischen den Zähnen des Unterkiefers eingreifen konnten. Diese Stellung haben manche Zahnwale und Edentaten noch bewahrt. Bei den meisten übrigen Säugern rücken die Molaren und meist auch die J dicht aneinander und es entstehen dann, namentlich wenn auch noch Reduktion einzelner Zähne ein­getreten ist , grössere oder kleinere Lücken zwischen dem J und C oder dem J und P oder zwischen dem vorderen und den hinteren P. Die grösste Lücke (Diastema) tritt dann ein, wenn der C und die vorderen oder alle P durch Reduktion gefallen sind und auf die J entweder die hinteren P oder die M folgen. Eine entgegen­gesetzte Specialisirung des Gebisses findet in der Weise statt, dass sämmtliche Zähne dicht aneinander rücken und eine geschlossene Zahnreihe bilden. Mit dieser Modification geht meist auch eine Ver­kürzung der Kiefer Hand in Hand, so dass z. B. die geschlossene Zahnreihe des Menschen gegenüber dem mit Diastema versehenen Ge­biss vieler Primaten entschieden eine Vervollkommnung und einen vorgeschritteneren Zustand darstellt. Bei vielen Hufthieren bedeutet aber die geschlossene Zahnreihe offenbar den ersten Schritt in der Umbildung der ursprünglich durch gleichmässige Lücken charakterisirten Bezahnung und entspricht somit einem primitiveren Zustand, als das mit Diastema versehene Gebiss. Form und Grösse der verschiedenen Zähne hängt ab von ihrer Stellung, von ihrer Funktion und ihrer Ernährung. Als primitives Gebiss der Säugethiere darf man wohl eine aus conischen, einwurzeligen Zähnen bestehende, durch gleichmässige Lücken getrennte Zahnreihe annehmen. Aus einem derartigen isodonten, lediglich zum Ergreifen und Festhalten der Beute geeigneten Gebiss dürfte das anisodonte, mit Schneide-, Eck- und Backzähnen versehene Gebiss durch Differenzirung hervorgegangen sein. Die geringste Abweichung vom ursprünglichen Kegelzahn zeigen die Eckzähne oder Caninen. Sie sind in den meisten Fällen conisch, einspitzig, öfters etwas rückwärts gekrümmt, einwurzelig (nur bei einigen fossilen Beutelthieren und Insectivoren zweiwurzelig) und dienen hauptsächlich zum Ergreifen und Zerreissen der Nahrung, sind darum

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