Leopold Auer - Manfred Wehdorn (Hrsg.): Das Haus-, Hof- und Staatsarchiv (2003)

Geschichte - Michael Hochedlinger: "Geistige Schatzkammer Österreichs". Zur Geschichte des Haus-, Hof- und Staatsarchivs 1749-2003

Geistige Schatzkammer Österreichs 25 Auch der Zugang für externe Gelehrte wurde erleichtert. Schon im Biedermeier konnte so mancher in- und ausländische Gelehrte (unter ihnen namentlich Leopold von Ranke im Jahre 1827) die Bestände des Archivs für seine Forschungen benützen, freilich nur mit Bewilligung der Staatskanzlei und unter tausenderlei Bedingungen und Schikanen. Bis zur ersten, nach dem Zusammenbruch der Monarchie erlassenen Benützungsordnung von 1918 wurden die vorzulegenden Akten einer strengen (und zeitraubenden) Vorzensur durch die Archivare des Hauses unterzogen, kompromittie­rende oder brisante Dokumente vor der Benützung entfernt; für habsburgische Familiensachen galten seit 1818 überhaupt Sonderbestimmungen. An den Vorzensur­arbeiten beteiligte Beamte haben später der kräfteraubenden Perlustrierung des vorzu­legenden Materials die Hauptschuld an der lange Zeit eher mangelhaften Erschließung und Verzeichnung der Bestände zugeschrieben. Die Zeit des Neoabsolutismus brachte zunächst selbst im Vergleich mit der biswei­len überraschend liberalen Metternich-Zeit einige Rückschläge, und zwar sowohl für die wissenschaftliche Produktion der Archivare selbst wie für die Benützbarkeit durch Forscher von außen. Erst Alfred von Arneth (1819-1897) vermochte sich nach Über­nahme der Direktion 1868 von seiner Vorgesetzten Dienstbehörde - seit 1848 war dies das an die Stelle der Staatskanzlei getretene Ministerium des kaiserlichen Hauses und des Äußern - das Recht zu sichern, über Benützungsanträge selbst und direkt zu ent­scheiden, was (mit den genannten Abstrichen) einer allgemeinen Öffnung des Archivs für die wissenschaftliche Forschung gleichkam. Die Grenzjahre für die Benützung wur­den sukzessive hinaufgesetzt (1841: 1740; 1880: 1815; 1885: 1830; 1905: 1847; 1918: 1894), ab 1948 galt eine gleitende Schutzfrist von 50 Jahren. Das Bundesarchivgesetz 1999 legt definitiv eine dreißigjährige Archivsperre fest. Vor dem Untergang ein neues Haus Gustav Winter (1846-1922), Direktor 1897-1909 Die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie hat dem Archiv kurz vor ihrem gewalt­samen Ende auch noch ein bauliches Denkmal gesetzt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte die Raumnot des Archivs durch große Aktenabtretungen einzelner Behörden besorgniserregende Ausmaße angenommen, in der Wiener Innenstadt muß­ten mehrere Außendepots mit zum Teil eigenen Lesesälen unter­halten werden. Permanente Übersiedlungen und oft katastrophal schlechte Unterbringung der Bestände in Notquartieren fügten dem Archivgut beträchtliche Schäden zu. Der Protektion des Außenministers Agenor Graf Goluchowski (1849-1921) war es zu verdanken, daß den Platznöten des Archivs durch die Errichtung eines nach damals modernsten Gesichtspunkten konzipierten Archivzweckbaus (1899-1902) an der Hinterseite des Staatskanzleigebäudes zum Minoritenplatz hin abgeholfen wurde. Im April 1904 eröffnete Kaiser Franz Joseph das Archiv offiziell mit seinem Besuch, den der Maler Carl Peyfuss (1865-1932) in einem Wandfresko des Stiegenhauses festgehalten hat. Auch Goluchowskis Nachfolger im Außenamt haben gut für das ihnen anvertraute Archiv gesorgt, das vor dem Ausbruch des großen Krieges einen absoluten Höchststand an wissenschaftlichen Beamten erreichte (18-22 zwischen 1900 und 1918). Seit dem Ausgleich von 1867 war das Haus-, Hof- und Staatsarchiv (seit 1874-75 „k. u. k.") ebenso wie das Reichsfinanzarchiv (Hof­kammerarchiv) und das Kriegsarchiv, die dem Reichsfinanzmini­sterium bzw. dem Reichskriegsministerium unterstanden, eine gemeinsame österreichisch-ungarische Institution, was auch ent­sprechende personelle Maßnahmen nötig machte. Seit 1893

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