Leopold Auer - Manfred Wehdorn (Hrsg.): Das Haus-, Hof- und Staatsarchiv (2003)

Geschichte - Michael Hochedlinger: "Geistige Schatzkammer Österreichs". Zur Geschichte des Haus-, Hof- und Staatsarchivs 1749-2003

Geistige Schatzkammer Österreichs 23 Anfang des 20. Jahrhunderts hat sich das „Provenienzprinzip", also die Bewahrung der organisatorischen behördenmäßigen Herkunft und Einheit von Schriftgut nach seiner Archivierung, definitiv durchgesetzt. Die Bilanz der ersten hundert Jahre Sammel- und Einziehungstätigkeit konnte sich in jedem Fall sehen lassen: 1840 verfügte das Haus-, Hof- und Staatsarchiv bereits über 63.250 Urkunden, 7.243 Faszikel und 1.348 Bände, und schon 1811 hatte eine 1840 neuerlich unterstrichene kaiserliche Entschließung das Hausarchiv zum „Centralinstitut aller für die Geschichte und das Interesse des Staates wichtigen Urkunden und Instrumente" erklärt. Diesen prominenten, ja zentralen Platz in der österreichischen Archivlandschaft vermochte sich das Haus-, Hof- und Staatsarchiv allen Anfechtungen zum Trotz für wenigstens eineinhalb Jahrhunderte zu sichern; noch in den 1840er Jahren hat man andere Archive und Sammlungen ziemlich schonungslos um interes­santes Schriftgut erleichtert. Zur Errichtung eines seit 1849 immer wieder thematisierten, 1858/59 sogar schon baulich konkretisierten zentralen „Reichsarchivs" ist es nicht gekommen. „Geistige Rüstkammer" oder wissenschaftliches Institut? Josef Freiherr von Hormayr (1782-1848), Direktor 1808-1813 Schon die erste Dienstordnung des Hausarchivs vom 24. Dezember 1753 stellte klar, daß das Archiv „zum Behufe des Staates" zu dienen hatte, also nicht nur bloße Endlagerstätte für Pergamente und schon gar kein Ort endzweckloser Wissenschaft, sondern vielmehr geistige Rüstkammer zur Durchsetzung eigener und Abwehr fremder Ansprüche war. Das Beiwort „Geheim" führte das Hausarchiv bzw. Haus-, Hof- und Staatsarchiv nicht von ungefähr bis zum Jahre 1848! Von einer Benützung durch Außenstehende konnte zunächst überhaupt keine Rede sein, und auch die Behebung von Schriftstücken durch andere Behörden bedurfte der allerhöchsten Bewilligung. Wohl hatten einige wenige auserwählte Gelehrte - meist ohnedies im Auftrag des Staates - schon im Schatzgewölbearchiv und später im Hausarchiv arbeiten dürfen. Im Grunde aber sollte das Hausarchiv ein unzugänglicher Hort der Rechte des Erzhauses, „die geistige Schatzkammer des Kaiserhauses" sein, was nicht zuletzt so zu verstehen war, daß auf der Grundlage der dort verwahrten Dokumente Untersuchungen zu aktuellen Fragen in Gestalt von Denkschriften und Gutachten erarbeitet werden muß­ten. Nicht umsonst waren viele Direktoren und Archivare von Rosenthal über Hormayr bis Arneth weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein Juristen und keine ausgebildeten Historiker. Zugleich forderte die Dienstbehörde aber gute Kenntnisse in Geschichte, Diplomatik, Chronologie, Genealogie, Staats-, Völker-, Privat-, Kirchen- und Lehenrecht. Gerade im Archiv empfand man dabei die völlig ungenügende Unterweisung in den Historischen Hilfswissenschaften an den Universitäten des Vormärz besonders bitter und testete daher 1841-1865 die Eignung von Bewerbern intern in einer eigenen „Archivprüfung". Erst die Errichtung des mit der Zeit auch die Aufgaben einer Archivschule übernehmenden Instituts für Österreichische Geschichtsforschung im Jahre 1854 begann dem Mangel einer wirklichen Spezialausbildung einigermaßen abzuhelfen. Um 1900 hatte sich der bis heute gepflogene Usus weitgehend durchgesetzt, nur noch Absolventen dieser Anstalt als Archivare aufzunehmen, ab 1918-19 war die Institutsprüfung unbedingte Voraussetzung. Rosenthals Beteiligung an der Erarbeitung von „Staatsschriften" mag sicher neben anderen Faktoren für den schleppenden

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