Leopold Auer - Manfred Wehdorn (Hrsg.): Das Haus-, Hof- und Staatsarchiv (2003)

Bestände - VI. Weltreise

178 VI. Weltreise Daß die Bedeutung der im Haus-, Hof- und Staatsarchiv aufbewahrten Quellen weit über die Grenzen der ehemaligen Habsburgermonarchie beziehungsweise Mitteleuro­pas hinausgeht, ist bereits in den vorangegangenen Kapiteln deutlich geworden. Die Archivbestände erlauben darüber hinaus einen Blick in die Geschichte vieler Länder auf allen Kontinenten, auch wenn Österreich zu keiner Zeit eine Kolonialmacht gewesen ist. Entsprechend ausgewählt lassen sie sich immerhin zu einer „virtuellen Weltreise" zusammenfügen. Die diplomatischen Beziehungen Österreichs zu fremden Mächten, aber auch die verwandtschaftlichen Verbindungen der Habsburger zu zahlreichen Fürstenhäusern haben eine fast unübersehbare Menge an Schriftgut mit Informationen über fremde Länder hinterlassen. Kaiserliche Botschafter und Gesandte berichteten über alles, was ihnen interessant erschien. Im Gegenzug sandten auch fremde Souveräne ihre Gesandten an den Kaiserhof. Ein exotisches Beispiel hiefür liefert das persische „Credentialschreiben" von Schah Abbas L, der im Jahre 1608 einen Perser und einen Engländer an den Hof Kaiser Rudolfs II. entsandte (Nr. 5). Zweck und Ziel der meisten diplomatischen Missionen war die Herstellung und Aufrechterhaltung friedlicher Beziehungen zwischen den Staaten, nicht selten aber auch die Anbahnung eines Defensiv- oder sogar Offensivbündnisses. Heiratsverträge bedurften üblicherweise besonders intensiver diplomatischer Verhandlungen, ging es dabei doch um Erbfolge und nicht zuletzt... um Geld. Wirtschaftliche oder handelspolitische Aspekte treten in der Berichterstattung scheinbar in den Hintergrund, spielen jedoch eine nicht zu unterschätzende Rolle. Österreichs Handelsinteressen waren nicht auf bestimmte Kontinente konzentriert, ein Netz zahlreicher konsularischer Vertretungen überzog die ganze Welt und hätte auch noch ausgedehnt werden sollen: Beispielsweise wurde die Eröffnung eines österrei­chisch-ungarischen Konsulats in Harbin (China) 1914 zwar genehmigt, wegen des Kriegsausbruchs jedoch nie mehr realisiert (Nr. 7). Gelegentlich erlauben die Quellen auch einen Blick in Alltagsprobleme, so etwa in Angelegenheit der Schadensersatzfor­derung eines Händlers, dessen Schiff 1 786 an den Klippen des „Eisernen Tors" auf der Donau zerschellte (Nr. 3). Genaue Kenntnisse über ferne Länder, insbesondere über mögliche Bündnispartner, lagen im ureigensten Interesse des Staates. Der kaiserliche Diplomat Siegmund von Herberstein verfaßte um die Mitte des 16. Jahrhunderts aus eigener Anschauung eine Beschreibung Rußlands mit dem Titel „Moscovia", die für lange Zeit geradezu ein Standardwerk darstellte (Nr. 4). Der Vertiefung der Kenntnisse über den islamischen Kulturraum diente die 1 754 gegründete Orientalische Akademie, wo für die praktische Ausbildung von Dolmetschern, Diplomaten und Konsuln arabische, türkische und per­sische Handschriften benötigt wurden. Zahlreiche Handschriften erhielt die Akademie von ehemaligen Zöglingen geschenkt, so etwa die Geschichte eines indischen Mogulkaisers in persischer Sprache (Nr. 6). Das wirtschaftliche Interesse österreichi­scher Handelskompanien konzentrierte sich im 18. Jahrhundert auf den Raum des Indischen Ozeans, vor allem auf die ostafrikanische Küste. Im 19. Jahrhundert stand hinter dem Bestreben, unbekannte Länder zu erkunden, dann tatsächlich in erster Linie wissenschaftlicher Forscherdrang. So folgte 1817 der österreichischen Erzherzogin Leopoldine auf ihrer Reise nach Brasilien eine stattliche Zahl qualifizierter Naturwissenschaftler, die ganze Schiffsladungen natúr- und volkskundlicher Materialien sammelten und nach Wien verfrachteten (Nr. 9). Großes internationales Echo rief auch die Weltumsegelung der österreichischen Fregatte „Novara" hervor, die unter anderem zwei Männer des neuseeländischen Volkes der Maori nach Wien brachte, wo sie eine neunmonatige Ausbildung als Buchdrucker genossen (Nr. 8).

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