Christian Kuhn: Die theologische Begründung des Kirchenrechts - Studia Theologica Budapestinensia 2. (1991)

1. Einleitung

re Tatbestände und damit notwendig die Verinnerlichung der Lebens­ordnung der Liebe (18>, wie Jesus sie gewollt hat (vgl. Mt 5,28) nicht gänzlich erfassen kann. Recht hat dieser Ordnung gegenüber jedoch eine Dienstfunktion, und es ist nach HARTELT widersprüchlich, Recht und Liebe als sich ge­genseitig ausschliessende Grössen gegenüberzustellen. Das Recht hört nicht auf, wo die Liebe beginnt, und die Liebe hört nicht auf, wo das Recht beginnt. Der Gegensatz zu „Rechtskirche" wäre demnach — im Sinne von HARTELT — nicht „Liebeskirche", sondern „Unrechtskir­che". Wenngleich es Recht in der Kirche seit ihrem Anfang an gab, so ist doch die explizite Frage nach seiner Begründung erst später aufgeta­ucht. Von Anfang an freilich hat das Christentum seinen Weg in der Welt mit einem eigenen historisch-politischen Bewußtsein angetreten. Der universale Charakter des Christentums mit dem Anspruch einer Religion für alle Völker und alle Zeiten stand von Anfang an im Wi­derspruch zu den theokratischen Prinzipien der zu dieser Zeit herr­schenden Ordnung. Im ersten Jahrtausend der Kirchengeschichte war das Kirchenrecht jedoch noch nicht streng von der Theologie getrennt behandelt worden. Erst etwa nach GRATIAN (Mitte des 12. Jahrhunderts), dem Vater der Kanonistik, kann man vom Beginn einer selbstständigen, von der übri­gen Theologie gesonderten Kanonistik als wissenschaftlicher Disziplin sprechen . Schließlich erarbeitete SUAREZ eine Synthese, der das kirchliche Rechtsdenken über drei Jahrhunderte hindurch verpflichtet war. Nach SUAREZ lagerte das Hauptgewicht „nun mehr und mehr auf der praktischen Auswertung dieser Grundlehren im Rechtsleben der kirchlichen Gemeinschaft, auf der Angleichung an die sich höher und höher entwickelnde Rechtsanwendung des staatlichen Lebens." (20). Später, nach der Auflockerung der mittelalterlichen Einheit, wird das Recht stärker mit den staatsähnlichen Merkmalen der Kirche verk­nüpft. Mit dieser formalen Nähe sollte dem kanonischen Recht eine stärkere Wirksamkeit nach innen verbürgt sein, außerdem diente sie als Argu­12

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