Folia Theologica 15. (2004)
Christian Göbel: Philosophie des Mönchseins
22 Ch. GOBEL den der Wahrheitsvermittlung (Pädagogik) betrachtet werden. Angenommen der Lehrer ist tatsächlich im Besitz der Wahrheit, so geben sie dem „vollendeten Sophisten" als dem „Weisheitslehrer, der besondere Fähigkeiten oder Erfahrungen besitzt und diese zu vermitteln bereit ist"45 46, gerade dazu das passende Verfahren an die Hand. Es bleibt allerdings auch dann die Frage, ob die jeweiligen Gesprächspartner des Wissenden (Sokrates) - und auch die Leser der Dialoge Platons - nicht bevormundet werden, indem sie in eine Methode eingespannt werden, die ihnen den gleichen Wert wie dem Gesprächsführer suggeriert, sie aber in Wirklichkeit nur genau zu dessen Meinung hinführt. Ein wesentlicher Unterschied ist in diesem Zusammenhang 1.) zwischen dem Sokrates der frühen Dialoge zu machen, in denen - neben der o.g. Hilfe zur Selbsterkenntnis und Selbstprüfung des Einzelnen - dort, wo es um thematische Inhalte geht, vornehmlich einzelne ,Wesensfragen' im Mittelpunkt stehen, d.h. Begriffsdefinitionen und Klärung des Sprachgebrauchs, und 2.) dem Sokrates der späteren Dialoge. Im ersten Fall geht es um das allgemeine Phänomen des Lernens, des notwendigen Hereinwachsens in eine bestehende Sprach- und Wissensgemeinschaft. Dann gibt es tatsächlich die jeweils eine Wahrheit (d.i. die Bedeutung eines Wortes oder Begriffes), die jeder in sich weiß und zu deren je-individuellen Ent-Decken die ,Hebammenkunst' (Maieutik) des Sokrates besonders mit der Diairesis helfen kann47. Hier geht es um das Wesen der Dinge und den Gebrauch des Verstandes. Dialektik und Diairesis sind dann Methoden, die von pädagogischem Geschick zeugen, weil sie dem Grundsatz eines ,Subsidiaritätsprinzipes' entsprechen: Man läßt den Schüler die Wahrheiten - unter der Führung des 45 Freilich ist dabei auch klar, daß wer im Besitz der Wahrheit ist, tatsächlich keinen Diskurs mehr nötig hätte, denn dessen Funktionieren kann nur ein Kriterium, nicht aber Konstitutivum der Wahrheit sein. Das habermassche Schlagwort vom herrschaftsfreien Diskurs gelingt nur, wenn dessen Gegenstand schon wahr ist, diskursive Übereinstimmung macht nicht Wahrheit. Sie ist allerdings besonders da, wo es um spekulative Grenzbereiche geht, genau wie die Logik und andere Hilfsmittel, probates Werkzeug, deren Möglichkeit und damit Wahrheitsfähigkeit zu überprüfen. 46 J. VRETTOS, Lehrer-Schiiler-Interaktion bei Platon. Frankfurt, 1985, 15. 47 Dieser Zusammenhang wird beispielsweise auch in der Lerntheorie von Augustins De Magistro thematisiert.