Folia Theologica 15. (2004)

Christian Göbel: Philosophie des Mönchseins

16 Ch. GOBEL Nach der leiblichen Selbstsorge gilt es dann in einem nächsten Schritt, auch noch den Geist von allen körperbezogenen und be­gierdehaften Bildern und Vorstellungen zu befreien, um so schließ­lich zur bloßen Betätigung des ungetrübten, reinen Intellekts zu ge­langen und zur Weisheit und Meditation des reinen, göttlichen Seins, die nur ihm möglich ist30. Insbesondere bemüht sich die Stoa, die platonische Erkenntnis der Geistseele als Einkehr in sich selbst praktisch umzusetzen. bensweisen religiöser oder religiös-philosophischer Sekten, wie z.B. der Py- thagoreer, die - nicht ungleich dem Pelagianisums der christlichen Geschich­te - aus eigener Kraft durch moralischen Rigorismus und religiöse Askese das durch die Geschehnisse des Prometheus-Mythos (vgl. Hesiod: Werke und Tage, V. 45-105, Théogonie, v. 535-616) verlorene paradiesische „goldene Zeitalter“ zurückgewinnen wollten, indem sie dessen Zustand, so wie ihn He­siod beschreibt, im Hier und Jetzt zu verwirklichen suchten (eine besondere Rolle spielte dabei die Unsterblichkeit, als deren Gegensatz die Sexualität verstanden wurde; im Umkehrschluß sollte der Verzicht auf Sexualität jenen Urzustand zurück erzwingen; an den Prometheus-Mythos knüpfen auch die Opferpraktiken und die Enthaltung von Fleisch an, vgl. dazu z.B. J.P. VER­NANT, Mythos und Gesellschaft im alten Griechenland. Frankfurt, 1987, 132-169); 2.) das frühe Bewußtsein, daß sich der Mensch dadurch vom Tier unterscheidet, daß er mittels seiner Vernunft in der Sophrosyne seine Leiden­schaften zügeln kann (vgl. Homer, Ilias, v. 207; hier liegen die Wurzeln der späteren Definition des Menschen als animal rationale)', 3.) eine poli­tisch-soziale Wurzel in der Entwicklung von der oft äußerlichem Prunk ver­fallenen Adelsgesellschaft zur bürgerlich-egalitären Polis (ein sprichwörtli­ches Urbild des anti-aristokratischen Staatswesens war schon früh die asketi­sche Kriegergesellschaft Spartas), in der die Sophrosyne auch zur politischen Tugend wurde (vgl. dazu J.P. VERNANT, Die Entstehung des griechischen Denkens. Frankfurt, 1982, 81 ff.); 4.) die bei Parmenides in erkenntnistheore­tischen Überlegungen vorgedachte Unterscheidung verschiedener Seinswei­sen, die Platon in seiner Stufenontologie zum Grundstock der Metaphysik macht (dort steht der eigentlich seienden Welt der Ideen die mindere Welt des irdisch-leiblichen „Scheins“ entgegen). Der erste, der aus philosophischen Gründen eine extreme Abwertung des Leiblichen vertritt, ist wohl Heraklit (Philo wendet das bekannte Wortspiel vom Leib als Grab der Seele - ampa afjpa - auf Heraklit). An ihn wird die Stoa mit ihrer sprichwörtlichen A-patheia anknüpfen, aber auch an Sokrates, der die Triebe und Leidenschaf­ten als ausschließlich körperliche und damit vergängliche und nichtige Be­gierden ansah. Deshalb wird er „radikaler als die, die vor ihm die Sophrosyne (nur) als Beherrscherin der Leidenschaften empfohlen hatten“ (B. SNELL, Die Entdeckung des Geistes. Göttingen, 61986, 173). 30 Vgl. z.B. Marc Aurel V,19; Seneca Ep ad Luc 66,46 u.a. Als äußerer Rahmen solcher Übung und zur steten Selbstkontrolle empfiehlt Seneca hier einen ge­ordneten Tagesablauf, in dem zur Abendstunde die Fortschritte (oder Fehler) des vergangenen Tages reflektiert werden.

Next

/
Thumbnails
Contents