Folia Theologica 15. (2004)

Helmuth Pree: Das Gewissen vor dem Forum des Kirchenrechts

104 H.PREE wünscht, sondern geboten ist. Dabei ist zu bedenken, Barmherzig­keit (welche sich niemals gegen die Wahrheit stellt, sondern die moralische Wahrheit im Einzelfall befolgt) würde die Glaubwürdig­keit der Verkündigung des Wortes Gottes über die eheliche Treue nicht beeinträchtigen, vielmehr im Gegenteil: Dispens oder Tole­ranz bzw. Barmherzigkeit einerseits, Prinzipientreue andererseits stehen nämlich nicht in Konkurrenz zueinander. Barmherzigkeit bedeutet nicht Gutheißung moralischer Schuld. Es geht lediglich darum, der Gebrochenheit des Menschen Rechnung zu tragen um ein Leben in Frieden mit Gott und der Kirche zu ermöglichen (vgl. Joh 4, Frau am Jakobsbrunnen). Dies ist deshalb kein fauler Kom­promiss, da die unhintergehbare Orientierung die moralische Wahrheit im Einzelfall ist. Das Recht hat eben an gewissen Punkten seine Grenze. Moralisch komplexe Situationen können in ihrer Tie­fendimension nicht gänzlich mit dem Mittel des Rechts gelöst und beurteilt werden. Das Recht ist zu schematisch, generell abstrakt, um allen Einzelheiten des jeweiligen Falles Rechnung tragen, zu können. Daher darf es und muss es aus solchen Problemlagen sei­nen Rückzug antreten und auf seine äußere, gemeinschaftliche Kontrollfunktion verzichten, wo dies ausnahmsweise wegen der Gewissenslage des Einzelnen geboten ist. Dies entspricht der Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit kirchlicher Verkündigung und Praxis, ja ist Ausdruck der Heilsverantwortung der Kirche gegen­über jedem Einzelnen. 2. Die Relevanz des Gewissensurteils angesichts einer zerbrochenen Lebensbindung Das Ehenichtigkeitsurteil ergeht durch den kirchlichen Richter auf Grundlage der generell abstrakt formulierten Ehenichtigkeits­tatbestände und der einschlägigen prozessualen Normen und ent­scheidet für die gescheiterte Ehe bzw. die betroffenen Personen nur die Frage der Gültigkeit bzw. Ungültigkeit des vinculum matrimonia­le; es lässt aber alle weiteren für die Feststellung der Nichtigkeit ge­setzlich nicht relevanten Aspekte des Einzelfalls (z. B. Schuld am Zerbrechen der Ehe; moralisches Vermögen der Partner; Vorhan­densein von Nachkommenschaft; Alter der Parteien) außer Be­tracht. Alle diese Gesichtspunkte zusammen jedoch, einschließlich der rechtlichen Entscheidung, fließen in der moralischen Gesamt­

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